Gut 24 Stunden nachdem der Kachowka-Staudamm im Kriegsgebiet im Süden der Ukraine geborsten ist, fluten riesige Wassermassen Dutzende Ortschaften.
Noch ist unklar, was genau geschehen ist.
Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld an der Zerstörung des Damms.
Klar ist hingegen: Das Ausmass der Verwüstungen ist verheerend. Häuser stehen unter Wasser. Mehr als 40'000 Menschen könnten von den Überschwemmungen betroffen sein, der UNO-Nothilfekoordinator spricht von möglicherweise schwerwiegenden und weitreichenden Folgen für die Menschen in der Region.
Eine Katastrophe in der Katastrophe
«Der Schock in der Ukraine ist wahnsinnig gross», berichtet die Journalistin Daniela Prugger. Sie lebt in Kiew und befindet sich im Moment in Wien. «Für die Menschen in der Region ist der Dammbruch eine Katastrophe innerhalb dieser Katastrophe des Krieges.»
Der Fluss Dnipro markiert die Frontlinie im Süden der Ukraine. Die Stadt Cherson war erst unter russischer Besatzung und wurde im letzten Jahr von der Ukraine wieder befreit. «In dieser Gegend haben die Menschen schon sehr viel durchgemacht», sagt Prugger. «Es gab Fälle von Folter, auch die Zerstörung war immens.»
Dazu kam in den letzten Monaten der ständige Beschuss durch russische Truppen, die sich auf der anderen Seite des Flusses befinden. «Dieser Beschuss hat auch jetzt nicht aufgehört und bleibt ein Hindernis für die Evakuierungen.»
Unermessliche Wut auf die Besatzer
Ältere Menschen, die mit ihrem bisschen Hab und Gut durchs Wasser waten, weggeschwemmte Häuser, elendig verendete Tiere – die Wut der Menschen in der Ukraine sei unglaublich gross, sagt die Journalistin. «Wie beim ganzen Krieg trägt auch bei dieser Katastrophe die Zivilbevölkerung die Konsequenzen. Dementsprechend ist die Stimmung im Land.»
Die Lage in der Katastrophenregion ist unübersichtlich. Auch für Prugger ist es schwierig, abseits von Behördenangaben an Informationen zu kommen. Teile der überschwemmten Gebiete sind unter russischer Kontrolle – hier ist es umso schwieriger, sich ein unabhängiges Bild zu machen.
Die Journalistin konnte mit einer freiwilligen Helferin in der Region sprechen. «Sie hat mir erzählt, dass sich Menschen in Panik an sie gewandt haben, um Hilfe zu erhalten – weil sie diese von den russischen Truppen nicht bekommen.»
Schuldzuweisungen vor UNO-Sicherheitsrat
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Vor dem UNO-Sicherheitsrat New York wiesen sich Moskau und Kiew gegenseitig die Schuld an der Zerstörung des Staudamms zu. Der ukrainische UNO-Botschafter Serhij Kislizia sprach am Dienstag bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung in New York von einem «Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus». Die Sprengung sei «ein weiteres Beispiel für den Völkermord Russlands an den Ukrainern.»
Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja sagte dagegen, dass der Vorfall auf «vorsätzliche Sabotage Kiews» zurückzuführen und wie ein Kriegsverbrechen einzuordnen sei. Der Staudamm sei für ein «unvorstellbares Verbrechen» benutzt worden. (sda)
Für Prugger deutet derzeit sehr vieles darauf hin, dass Russland für den Dammbruch verantwortlich ist. «Davon gehen die meisten Beobachter aus, die nichts mit dem Kreml zu tun haben.» Der Ukraine die Schuld an allem zuzuweisen, sei das bekannte russische Narrativ seit Kriegsbeginn. «Sie wird von Russland auch dafür verantwortlich gemacht, dass es diesen Krieg überhaupt gibt.»
Ob der Damm gezielt gesprengt oder unter russischer Besatzung schlichtweg unzureichend gewartet wurde, lässt sich derzeit nicht sagen. Von einer Flutung grossflächiger Gebiete könnte Russland insofern profitieren, als dies die
Rückeroberung durch die Ukraine erschweren würde
.
Ungeachtet der Schuldfrage werde sich die Flutkatastrophe noch jahrzehntelang auf die Menschen in der Region auswirken, schliesst Prugger. «Felder können ohne Stausee nicht mehr bewässert werden – und die Fluten haben Minen entlang der Frontlinie des Ufers mitgeschwemmt.»
Auch die Schäden für das gesamte Ökosystem und die Tierwelt seien derzeit nicht abzuschätzen.
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