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Krieg in Nahost In den Krieg ziehen für Israel – trotz Zweifel an der Regierung

Israelische Reservisten äussern Unbehagen über Netanjahu. Wie können sie trotzdem ihr Leben im Gaza-Krieg riskieren?

Itamar schämt sich für seine Regierung – er sagt das offen per Videocall. Schon in wenigen Stunden muss er wieder in die Armee einrücken.

Gleichzeitig fühlt er sich mitschuldig. Denn: «In einer Demokratie ist jeder mitverantwortlich für die Regierung seines Landes. Ich kämpfe aber nicht für meine Regierung, sondern für mein Land.»

Ich sah die verbrannten Autos. Die Leichen von getöteten Familien, Soldaten, Tieren.
Autor: Itamar Israelischer Reservesoldat, Kritiker Netanjahus

Der 46-jährige Reservesoldat musste nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober sofort einrücken. Er sei einer der ersten seiner Einheit in der Kampfzone gewesen. «Ich sah die Brutalität der Hamas. Die verbrannten Autos. Die Leichen von getöteten Familien, Soldaten, Tieren.»

Jüdinnen und Juden konnten nicht beschützt werden

Diese Bilder, der Hilferuf eines Freundes, dem er nicht helfen konnte, das Schicksal der Entführten, die noch immer in Gaza ausharren müssen, erfüllten ihn mit Scham, sagt Itamar, der im zivilen Leben Pädagoge ist.

Verkehrskreuzung in Sderot mit ausgebranntem Auto und Rauch im Hintergrund.
Legende: Die israelische Stadt Sderot, die nur wenige Kilometer östlich des Gazastreifens liegt, wurde am 7. Oktober von Hamas-Horden überfallen. Sie ermordeten mindestens 40 Zivilistinnen und Zivilisten und besetzten das Polizeigebäude. Dessen Rückeroberung dauerte drei Tage, dabei kamen 50 Hamas-Terroristen und 20 israelische Sicherheitskräfte ums Leben. Reuters/Ammar Awad

«Israels einziger Zweck ist: Jüdinnen und Juden vor Flucht und Verfolgung zu schützen. Als Soldat und als Bürger habe ich deshalb das Gefühl, ich hätte versagt.»

Auch Israels Besatzung der Palästinensergebiete rechtfertigt niemals solche Taten.
Autor: Itamar Israelischer Reservesoldat, Kritiker Netanjahus

Umso mehr glaubt Itamar, dass er und die ganze Welt gegen Extremisten und ihre Grausamkeit kämpfen müssten. Israel sei in diesem Krieg nicht der Übeltäter. Die Situation mit den Palästinensern sei zwar kompliziert. Aber es gebe keine Rechtfertigung für die Gräueltaten der Hamas.

«Zivilisten töten, in ein Kibbuz eindringen und wahllos morden: Das tut man einfach nicht. Auch Israels Besatzung der Palästinensergebiete rechtfertigt niemals solche Taten», betont Itamar.

Er kämpfe gegen die Hamas, die Hisbollah und Iran. «Ich kämpfe aber auch mit allen legalen Mitteln, um unsere grauenhafte Regierung zu ersetzen», sagt er, bevor er wieder einrücken muss.

Eine andere Reaktion sei schlicht unmöglich gewesen

Israel hätte es nie so weit kommen lassen dürfen, betont der 31-jährige Reservesoldat Doron. Seine Familie entkam dem Hamas-Angriff am 7. Oktober nur knapp.

Stundenlang im Bunker ausgeharrt

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Doron, ein Mann mit Bart macht Selfie vor einem Zaun und Mauer aus Steinen im Freien.
Legende: zvg

So hat Doron den 7. Oktober erlebt: «Sechzehn Stunden mussten wir die Tür zu unserem Luftschutzraum zuhalten: abwechselnd meine Frau, meine beiden Kinder und ich. Die einzige Waffe, die wir zur Verteidigung gegen die Terroristen hatten, war ein Brotmesser.»

Mehrere Tage lang terrorisierte die Hamas die Bevölkerung in Sderot an der Grenze zum Gazastreifen aufs Grausamste. Trotzdem gönnte die Armee dem jungen Familienvater keine Pause nach dem erlebten Horror: Sie schickte ihn sofort in den Krieg im Gazastreifen.

Doron ist Sozialarbeiter und bezeichnet sich als linken Zionisten. Er ist für einen Staat Israel, aber auch für einen unabhängigen Palästinenserstaat, also für die Zweistaatenlösung. Er wirft Premier Benjamin Netanjahu vor, über Jahre hinweg nichts gegen den Raketen- und Feuerbomben-Terror der Hamas im Süden des Landes unternommen zu haben.

Alle zwei Jahre habe man Gaza bombardiert und gleichzeitig zugelassen, dass die Hamas zu Geld komme. Obwohl offensichtlich gewesen sei, dass ihre Waffen immer besser wurden. Und dann drangen am 7. Oktober hunderte Hamas-Terroristen in Israel ein.

«Keine Regierung, nicht einmal meine Traumregierung, hätte danach etwas anderes machen können, als das, was wir jetzt tun: die Hamas im Gazastreifen zu zerstören», sagt Doron. Der Preis dafür, dass Israel dies nicht früher getan habe, sei die hohe Anzahl ziviler Opfer.

Ich habe bloss einen einzigen bewaffneten Palästinenser im Gazastreifen gesehen – doch in jedem Haus haben wir Waffen gefunden.
Autor: Doron Israelischer Reservesoldat, Kritiker Netanjahus

«In meiner ganzen Zeit als Soldat im Gazastreifen sah ich bloss einen einzigen bewaffneten Palästinenser», fährt er fort. Die Terroristen würden sich meist ohne Waffen bewegen und sich in Häusern verstecken. Aber: «In jedem Haus haben wir Waffen gefunden.»

Hamas zerstören – aber wie?

Doron beteuert: In seiner Einheit hätten Soldaten selbst ihr Leben riskiert, um die Zivilbevölkerung zu warnen oder zu evakuieren. Etwas anderes komme für ihn mit seinem humanistischen Weltbild gar nicht infrage.

184 Tage hat Doron seit dem Beginn des Krieges bereits Dienst geleistet. Gegen die Regierung sein und trotzdem in diesem Krieg kämpfen: Die Realität sei eben nicht schwarz oder weiss, sagt er.

Doron glaubt ans Kriegsziel der Regierung, die Hamas zu zerstören. Gleichzeitig glaubt er auch, dass das so, wie es seine Regierung tut, nicht möglich sei. Seiner Meinung nach müsste sie auch diplomatische Lösungen suchen und bereit sein, sich offen auf Verhandlungen einzulassen.

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