Der Silberlocken-Klub trifft sich im achten Stock eines Einkaufszentrums in Shanghai. Der Raum an diesem Montag ist voll, denn das Thema, Bildbearbeitung mit Künstlicher Intelligenz ist beliebt. Die Smartphones liegen bereit, ein Vergrösserungsglas und Notizblöcke ebenfalls.
Lu Qiping, 66, war früher Immobilienverwalterin. Mit der chinesischen App Doubao verschönert sie ihre Ferienfotos aus Rom: Erst lässt sie sich im Bild zwei Blumensträusse in die Hand geben, dann lässt sie ein Video generieren, wie sie damit die Strasse entlang schlendert.
«Der Schlüssel ist, dass man die richtigen Wörter tippt», sagt Lu, «und dass man immer noch selbst denkt und seine eigenen Ideen hat». Sie ist begeistert. Sie frage Doubao auch oft nach Kochrezepten, zum Beispiel für Ochsenfrösche.
«Wir Senioren müssen vorne mit dabei sein»
Solche Kurse finden derzeit in ganz China statt. Chinesische KI-Modelle wie Deepseek, Ernie oder Qwen haben international Schlagzeilen gemacht, und in China einen Boom rund um Künstliche Intelligenz ausgelöst.
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Bild 1 von 3. Ein Urlaubsbild aufhübschen oder die KI um Gesundheitstipps fragen: Die Kurs-Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben unterschiedliche Verwendungen für die KI. Bildquelle: Nicolas Axelrod.
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Bild 2 von 3. «Alle wollen über die neuesten Trends auf dem Laufenden bleiben», sagt die Managerin des Silberlocken-Klubs. Auch die Älteren würden die neuen Technologien aktiv nutzen. Bildquelle: Nicolas Axelrod.
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Bild 3 von 3. Die Teilnehmenden betonen, sie wollen sich mit der Spitzentechnologie auseinandersetzen – auch, um die Initiative von der Regierung zu unterstützen. Bildquelle: Nicolas Axelrod.
Das Land spielt nicht nur bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz mittlerweile eine Führungsrolle, sondern auch bei deren Anwendung. Das Ziel des Staatsrats ist es, dass bis 2030 Künstliche Intelligenz in 90 Prozent der Wirtschaft angewendet wird.
«Künstliche Intelligenz wird künftig wohl überall benutzt», sagt der 69-jährige Li Jiancheng. Deswegen finde er die Initiative der Regierung sinnvoll. «Wir Senioren müssen da vorne mit dabei sein», sagt Li. Er selbst ist das jedenfalls.
Li besucht bereits die siebte KI-Vorlesung an der Senioren-Universität in Shanghai. Kürzlich hat er bei einem Poesie-Wettbewerb den zweiten Platz geholt: Die Teilnehmer hatten die Aufgabe, klassische chinesische Gedichte mit KI zu schreiben.
Grosseltern schreiben Prompts
Das Herbstsemester hat gerade begonnen, 25’000 Studierende sind an der Senioren-Uni eingeschrieben. Bei Vorlesungen zur Künstlichen Intelligenz ist der Hörsaal gut besucht. Die grauhaarigen Studentinnen und Studenten lernen, wie man gute Prompts schreibt. «Ihr müsst präzis sein», sagt die 24-jährige Dozentin Liu Xiangqi, «am besten stellt ihr euch vor, ihr seid Filmdirektoren».
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Bild 1 von 3. Li Ping, 72, pensionierte Buchhalterin. «Wir sind älter und nicht mehr so flexibel wie junge Leute. Viele Dinge machen uns Mühe und damit können wir Abkürzungen nehmen, oder?». Bildquelle: Nicolas Axelrod.
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Bild 2 von 3. Luo Lijuan, 58, pensionierte Personalsachbearbeiterin. «Am häufigsten nutze ich KI für Fragen rund um meine Gesundheit. Es fühlt sich an, als hätte ich einen persönlichen Arzt in meinem Leben, und das löst einige meiner Probleme.». Bildquelle: Nicolas Axelrod.
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Bild 3 von 3. Liu Xiangqi, 24, Dozentin. «Manche mögen Poesie und können ihre Texte überarbeiten. Sie können Bilder und Videos erstellen. Die KI kann auch alte Fotos restaurieren und ihnen so Trost spenden.». Bildquelle: Nicolas Axelrod.
Der Staat hat die Einbindung der älteren Generationen ins digitale Zeitalter in den letzten Jahren immer gefördert. Auf chinesischen sozialen Medien sind in diesen Tagen Videos populär, die zeigen, wie Enkel ihre Grosseltern beim Ausprobieren von KI-Apps helfen.
In China leben heute etwa 300 Millionen Menschen, die älter als 60 Jahre sind. In den nächsten Jahren werden es noch viel mehr sein. Sowohl die Tech-Konzerne als auch der Staat setzen auf KI, um die wachsende Zahl der Seniorinnen und Senioren zu erreichen.