Auf der Piazza Colonna, mitten in Rom, steht ein Kiosk. Jedenfalls sieht er genauso aus. In Tat und Wahrheit ist dieser Kiosk nur noch ein Automat. Man wirft 1.50 Euro ein und er spuckt prompt die Zeitung «Corriere della Sera» aus. Hinter einer Glasscheibe sind weitere Zeitungen zu sehen.
Einen Kiosk in einen Automaten zu verwandeln, ist nur eine der Methoden, das langsame Sterben der Kioske in Italien aufzuhalten. Andere haben ihren Laden zum Beispiel in eine Bar oder ein Café umgewandelt. In den vergangenen Jahren ist alleine in Rom die Hälfte der ehemals rund 1000 Kioske verschwunden.
Souvenir-Socken statt Zeitungen
Ein paar Schritte weiter, bei der von Blumen gesäumten Spanischen Treppe, gibt es noch einen «richtigen» Kiosk: Man wird persönlich bedient. Eine ältere Dame mit übergrosser Handtasche wünscht die Illustrierte «Die christliche Familie». Der Verkäufer verschwindet schnell im Innern des kleinen Häuschens und taucht kurz darauf wieder auf, um der Dame das gewünschte Heft zu überreichen.
Vor dem Kiosk, in der gut sichtbaren Auslage, sind allerdings keine Zeitungen, sondern ganz andere Sachen zu sehen: Socken mit dem Aufdruck «I love Italy», Gladiatorenrüstungen aus Plastik oder das Kolosseum im praktischen Miniformat.
«Ohne Souvenirs, nur mit Zeitungen, hätte ich schon längst schliessen müssen», sagt Giovanni, der den Kiosk seit 20 Jahren führt. «Nur noch Leute über 60 lesen Zeitungen, das ist eine Tatsache.» Zudem verdiene er mit Tourismusartikeln «Made in China» doppelt so viel wie mit Zeitungen.
Zwölf-Stunden-Tage bei magerem Lohn
Souvenirs helfen also mit, die bis zu 100 Jahre alten Kioske Roms zumindest dem Namen nach zu erhalten. Doch das klappt nur dort, wo es Touristinnen und Touristen hat.
Davon kann Sunny ein Lied singen. Sein Kiosk liegt knapp neben den Trampelpfaden. Er überlebe nur, weil er den tiefen Lohn und lange Arbeitszeiten akzeptiere: «Zwölf Stunden bin ich hier, von 6 Uhr morgens bis abends um 18 Uhr, an sieben Tagen die Woche», sagt der aus Bangladesch stammende Sunny.
Doch klagen mag er nicht. Denn viele Einwanderer aus Bangladesch arbeiten auf der Strasse, sie verkaufen bei Wind und Wetter Pelerinen oder Schirme. Sunny aber hat einen Kiosk und damit sein Dach über dem Kopf.
Letzte Traditionskioske
Ein paar hundert Meter weiter: Wir sind nah beim Vatikan, an guter touristischer Lage. Concetta denkt trotzdem nicht im Traum daran, Aschenbecher mit aufgedrucktem Petersdom oder T-Shirts mit dem Papst anzubieten: «Ich habe mich ganz bewusst dazu entschieden, nur Lesestoff zu verkaufen und halte daran fest.»
Vom Geschäft mit Zigaretten können Italiens Kioske nicht profitieren. Der Verkauf ist per Gesetz den Tabakläden vorbehalten, erklärt Concetta durch das kleine Fenster, das von Zeitungen, Heften und Büchern eingerahmt wird.
«In einem Kiosk braucht man viel Geduld und Hingabe», sagt Concetta, die wie Sunny jeden Tag zwölf Stunden arbeitet. Um aufs WC zu gehen, muss sie jemanden rufen, der aufpasst. Zum Glück gebe es im Quartier nette Leute. Wie die politisch ticken, weiss Concetta aufgrund der Zeitungen, die sie lesen: «Ich verkaufe hier, nah am Vatikan, viele Zeitungen aus dem rechten politischen Spektrum.»
Noch zwei Jahre lang, dann geht sie in Pension: «Ich werde meinen Kiosk verkaufen und nie mehr zurückkehren. So muss ich nicht mitansehen, was die neuen Besitzer aus dem Kiosk machen.» Vielleicht wird auch hier bald ein Automat stehen.
«Echo der Zeit» ist die älteste politische Hintergrundsendung von Radio SRF: Seit 1945 vermittelt die Sendung täglich die wichtigsten Nachrichten, Berichte, Reportagen, Interviews und Analysen über das aktuelle Zeitgeschehen
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