Juniorentraining beim Fussballclub Lokomotyv Kyiv, einem der ältesten Sportklubs der Hauptstadt. Trotz eisiger Kälte sind die Kinder mit Feuereifer bei der Sache. Eltern schwatzen am Rande des Fussballfeldes. Doch die scheinbare Normalität täuscht.
Denn gleich neben den spielenden Kindern wird das Klubgebäude abgerissen – respektive: das, was davon übrig ist. Als Russland am Morgen des 23. Januar die Ukraine mit über 40 Raketen verschiedenen Typs angegriffen hatte, durchschlugen Trümmer einer abgeschossenen Rakete das Dach der Klubhalle. Ein Mann wurde so schwer verletzt, dass er später im Spital starb. Fenster in den nahegelegenen Wohnblöcken zerbarsten, Autos wurden beschädigt.
Terror an einem gewöhnlichen Dienstag. 700 Kinder trainieren hier – sie hatten Glück, denn der Angriff geschah so früh morgens, dass noch keines auf dem Platz war. Nun wird hier schon wieder gekickt. Umziehen müssen sich die jungen Fussballer in einem Zelt. Der zehnjährige Dmitro sagt: Eine halbe Woche nach dem Angriff hätten sie schon wieder hier trainiert. Und nein, Angst habe er keine.
Seine Mutter, die 39-jährige Valentina, ergänzt: Lokomotyv sei ein sehr aktiver Klub mit tollen Trainern und familiärer Atmosphäre. Dmitro liebe seine Trainer aus ganzem Herzen. Nichts werde ihn daran hindern, hier zu trainieren. Valentina überlegt kurz, ob sie Angst habe um ihren Sohn und sagt dann: Egal wo man sei, in der Ukraine sei es überall furchterregend.
Täuschungsmanöver der Raketen
Verglichen mit dem vergangenen Winter hätten die Russen weniger Raketen auf Lager, so Militärexperte Oleksiy Melnyk, der für den Thinktank Rasumkow-Zentrum arbeitet. Sie hätten aber ihre Taktik optimiert: So ändern die Raketen blitzschnell die Richtung. Es wird auf Täuschung gesetzt: Moskau startet Raketen ohne Sprengkopf, die die Luftabwehr beschäftigen sollen, damit danach die tödlichen Raketen durchkommen.
Eine weitere Taktik: Zuerst Wellen billiger Drohnen losschicken, und dann erst die viel zerstörerischen und teuren Raketen. Das Ziel: Die Luftabwehr überlasten und ihre Reserven aufbrechen.
Hier kommt der Munitionsmangel ins Spiel, der nicht nur für die ukrainischen Soldaten an der Front, sondern auch für die Luftabwehr ein riesiges Problem ist. Genau das will Russland erreichen: die Reserven der Ukrainer erschöpfen, damit möglichst viele Raketen und Drohnen ihre Ziele erreichen.
Um Drohnen abzuschiessen, setzt die Flugabwehr unter anderem Gepard-Panzer ein, deren Munition ursprünglich in der Schweiz hergestellt wurde. Doch die Schweiz untersagte die Lieferung in die Ukraine mit Berufung auf die Neutralität. Deshalb musste die Produktion der Munition nach Deutschland verlagert werden. Melnyk sagt dazu, mit resigniertem Unterton: Hier gehe es um den Schutz der Zivilbevölkerung – und da sollte es doch eigentlich keine Fragezeichen geben.
Stadion mit Schutzraum
Doch selbst abgeschossene Raketen und Drohnen können Tod und Zerstörung bringen. Sie lösen sich nicht in Luft auf, brennende Trümmer – grosse Teile aus Metall – fallen zu Boden, stecken Wohnhäuser in Brand, durchschlagen Decken und Wände. So geschehen etwa im Falle des Fussballklubs Lokomotyv in Kiew.
Dort ist inzwischen der stellvertretende Direktor eingetroffen, geschockt, aber optimistisch: «Wir haben die einzigartige Chance, ein vorbildliches Stadion mit einem guten Schutzraum zu bauen. Denn unser Nachbar Russland, der wird nicht einfach verschwinden.»