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Libanon: Gezwungen, eigenes Geld zu stehlen
Aus Rendez-vous vom 30.09.2022. Bild: EPA/WAEL HAMZEH
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Libanon ist bankrott Verzweifelte Menschen überfallen Banken in Libanon

Ihre Ersparnisse sind blockiert oder verschwunden. Kunden versuchen deshalb, mit Gewalt an ihr Geld zu kommen.

In Libanon hat letzte Woche eine Serie von Banküberfällen Aufsehen erregt: Verzweifelte Bürgerinnen und Bürger stürmten Banken, nahmen Geiseln und forderten die Herausgabe ihrer Ersparnisse.

Aus Angst, die Situation könnte ausser Kontrolle geraten, schlossen die Banken mehrere Tage. Anfang Woche machten sie wieder auf, doch an der Situation hat sich nichts geändert: Libanon ist bankrott, die Ersparnisse seines Volkes sind verschwunden.

Der erste Überfall 2020

Einer der ersten Libanesen, der sich zu einer solchen Verzweiflungstat schon vor einigen Jahren hinreissen liess, ist Hassan Moughnieh. Der 41-jährige Geschäftsmann und Restaurantbesitzer ist verheiratet und Vater einer sechsjährigen Tochter sowie eines dreijährigen Sohnes.

Er hat wiederholt im Ausland gelebt und gearbeitet, seit drei Jahren ist er wieder in Libanon. Im März 2020 überfiel er plötzlich eine Bank.

«Ich bin nicht wirklich stolz auf das, was ich getan habe, nur sehr traurig über das, was in Libanon passiert», sagt Moughnieh am Telefon. «Meine Mutter hatte Krebs, sie musste dringend operiert werden. Aber ich konnte die Operation nicht bezahlen, weil die Banken unsere Ersparnisse nicht herausgaben.» Also habe er eines Morgens eine Bankfiliale in der südlibanesischen Stadt Tyre überfallen.

Das Geld kam zu spät

Er sei zwar nicht bewaffnet gewesen, habe aber Angestellte als Geiseln genommen. «Bis mir die Bank am Abend versprach, Geld für die Operation meiner Mutter herauszugeben.» Die Operation kam jedoch zu spät: Seine Mutter verstarb.

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Eine lange Gefängnisstrafe, wie bei Banküberfällen sonst üblich, bekam Moughieh nicht – ebenso wenig die vielen Nachahmetäterinnen und -täter. Die meisten von ihnen kamen höchstens ein, zwei Nächte ins Gefängnis.

Seine Mutter konnte Moughnieh mit seinem Banküberfall nicht retten. Aber er schwor sich, andere vor demselben Schicksal zu bewahren. Er gründete die «Association of Depositors»: Eine Vereinigung, die sich auf dem Rechtsweg für die Herausgabe der Ersparnisse der Leute einsetzt.

Moughniehs Mindestforderung: Wenigstens Krebskranke sollten auf ihre Ersparnisse zugreifen können, um überhaupt medizinische Behandlung zu erhalten.

Alle Anstrengungen waren vergebens

Der Geschäftsmann redete mit allen möglichen Instanzen: mit Bankenvertretern und Politikerinnen, mit Anwältinnen und Richtern, und er strengte Rechtsverfahren an. Es kam nichts dabei heraus. Die Ersparnisse der Libanesinnen und Libanesen bleiben blockiert oder verschwunden. Und die Regierung hat dafür nicht einmal eine offizielle Erklärung.

Ein Grund für die jetzige Häufung der Banküberfälle könnte sein, dass Moughnieh aufgegeben hat und potenziellen Bankräubern nicht mehr ins Gewissen redet. «Jetzt sage ich den Leuten: bleibt zu Hause, weint, betet – oder raubt eine Bank aus.»

Er und die Mitglieder der Vereinigung der Bankkunden sind Freiwillige. «Wir haben alle Verfahren aus der eigenen Tasche bezahlt. Jetzt sind unsere Mittel ausgeschöpft. Wir können nichts mehr tun».

Moughnieh hofft nun, dass die Zunahme an Banküberfällen dazu führt, dass Banken und Politiker wenigstens den Menschen helfen, die todkrank sind und sich ohne Zugriff auf ihre Ersparnisse nicht einmal einen Spitalaufenthalt leisten können.

SRF 4 News, Rendez-vous vom 30.9.2022, 12:30 Uhr

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