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«Lifeline»-Kapitän vor Gericht «Menschenleben retten ist kein Verbrechen»

Claus-Peter Reisch ist Kapitän des Rettungsschiffs «Lifeline». Vor einem Monat war das Schiff fast eine Woche auf dem Meer blockiert, nachdem es rund 230 Migranten vor der libyschen Küste gerettet hatte. Nun steht Reisch in Malta vor Gericht. Laut Anklage soll er das Schiff ohne ordnungsgemässe Registrierung in maltesische Gewässer gesteuert haben – was er vehement verneint.

Claus-Peter Reisch

Kapitän der «Lifeline»

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Er war Kapitän des Rettungsschiffs «Lifeline», welches vor der libyschen Küste mehr als 230 Migranten gerettet hatte. Der 58-Jährige war erfolgreicher Unternehmer in Bayern, ehe er auf einem Segeltörn in Griechenland mit dem Flüchtlingselend konfrontiert wurde und sich zu einer Laufbahn als Retter entschloss.

SRF News: Sie stehen vor Gericht. Was erwarten Sie von der Verhandlung?

Claus-Peter Reisch: Von der Verhandlung erwarte ich einfach einen Freispruch. Wir haben nichts verkehrt gemacht. Wir haben ein gültiges Bootszertifikat eines holländischen Wassersportverbands. Man behauptet zwar, das es ungültig ist. Aber ich kann dem nicht folgen. Dieses Zertifikat ist ein Original. Es ist auch nicht abgelaufen. Es steht auch drin Flag Dutch, also Flagge Holländisch, und der Heimathafen ist Amsterdam. Ich finde das schon sehr spannend, dass man jetzt behauptet, dieses Zertifikat wäre nicht gültig.

Ihnen droht eine Strafe von bis zu 11'600 Euro oder ein Jahr Haft. Was haben die maltesischen Behörden denn gegen Sie in der Hand?

Gegen mich haben sie genaugenommen nichts in der Hand. Man versucht, die NGO-Rettungsschiffe am Auslaufen zu hindern, und dies mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Bei uns ist es jetzt das Zertifikat. Bei Seawatch ist es, dass sie nicht auslaufen dürfen. Und beim Suchflugzeug Moonbird, das auch auf Malta steht und überwiegend von der evangelischen Kirche finanziert wird, ist es so, dass sie keine Starterlaubnis bekommen. Ein weiteres Suchflugzeug, das auf Lampedusa steht, bekommt keinen Treibstoff.

Man will verhindern, dass die untergehenden Schlauchboote auf dem Meer gefunden werden.

Was will man? Man will verhindern, dass Menschen gerettet werden. Und man will verhindern, dass die untergehenden Schlauchboote auf dem Meer gefunden werden und so dokumentiert wird, dass trotzdem immer noch Leute unterwegs sind, rausgeschickt werden von den Schleppern. Man will einen Vorhang vor dieses Drama ziehen, damit es niemand mehr sehen kann.

Kritiker sagen, dass immer noch mehr Flüchtlinge kommen, wenn Sie und andere NGOs den Flüchtlingen helfen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Man muss etwas ganz deutlich festhalten: Die NGO retten 40 Prozent der Menschen. Und die anderen 60 Prozent werden von der Handelsschifffahrt und vom Militär gerettet. Da man aber auf Militärschiffen und Handelsschifffahrt schlecht herumhacken kann, nimmt man jetzt einfach die relativ wehrlosen NGO dafür her. Das ist ein Politikum. Die Leute, die das behaupten, haben von dem, was auf dem Meer passiert, keine Ahnung. Und es gibt auch für diese Aussagen nicht einen einzigen Beweis.

Aber dass dies Schlepper vielleicht dazu animiert, noch mehr Flüchtlinge loszuschicken, weil sie wissen, dass sie gerettet werden, und weil sie wissen, dass NGOs vor der libyschen Küste sind, das bestreiten Sie nicht?

Doch , das bestreite ich auch. Wenn da irgend etwas dran wäre, dann würde gerade jetzt, da keine NGO-Schiffe unterwegs sind, auch keine Flüchtlingsboote mehr unterwegs sein. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Für die Schlepper ist dieses Geschäft doch gemacht, wenn sie ein Boot aufs Wasser geschoben haben.

Es gab seit dem 1. Juni über 700 Tote auf dem Mittelmeer. Aber das sind nur die dokumentierten. Wir finden ja fast jeden zweiten Tag ein Schlauchboot oder ein Holzboot, das gekentert ist oder einfach nur leer ist. Die Menschen sind weg. Wo sind sie? Das ist für mich der Beweis dafür, dass die libyschen Milizen, die daran sicherlich gutes Geld verdienen, die Menschen auch rausschicken, wenn keine Flüchtlingsrettungsschiffe unterwegs sind. Für die ist dieses Geschäft doch gemacht, wenn sie ein Boot aufs Wasser geschoben haben.

Man will einen Vorhang vor dieses Drama ziehen.

Danach interessiert es sie nicht mehr. Diese Menschen sind dann entsorgt und das wars. Das juckt die nicht, ob die Menschen das überleben oder nicht.

Viele warten nun auf das Urteil aus Malta. Was bedeutet der Ausgang dieses Prozesses für Ihre Arbeit?

Wir werden sehen, dass wir unser Schiff freibekommen. Dann werden wir natürlich wieder zur See fahren. Auch wenn das so manchem Politiker vielleicht nicht gefällt. Aber wir wollen weiter Menschenleben retten, und Menschenleben zu retten ist kein Verbrechen. Ganz im Gegenteil. Es ist es eine Pflicht. Wer das nicht glaubt, kann auch gerne in den einzelnen Seerechtsgesetzen zu diesem Thema nachlesen.

Das heisst, Sie wollen weitermachen mit Ihrer Arbeit?

Ja. Selbstverständlich.

Das Gespräch führte Noëmi Ackermann.

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