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Livestreaming in China Boombranche produziert Stars – und Probleme für den Staat

In China sind Livestreamer echte Stars. Was als Online-Spielerei begann, ist zu einer Riesenindustrie geworden. Doch die Behörden schauen genau hin. Martin Aldrovandi berichtet über die Branche aus China.

Feifei montiert ihr Handy an einen Halter. Ein kurzer prüfender Blick – der Selfie-Mode ist eingeschaltet, die Frisur sitzt, das Lächeln auch.

Und schon erscheinen auch die ersten Nachrichten auf dem Display. «Du bist schon online, was machst Du heute, wie geht es Dir?» fragen die User. Sie stammen von Feifeis Fans. Die 24-jährige ist seit drei Monaten hauptberuflich Livestreamerin – und hat inzwischen über 100'000 Follower.

Ich spiele Klavier und dann plaudere ich noch etwas mit ihnen.
Autor: Feifei Chinesische Livestreamerin

«Ich spiele Klavier und dann plaudere ich noch etwas mit ihnen», sagt sie. Mehrere Stunden am Tag ist sie live. Ihre Fangemeinde schaut zu und kommentiert. Feifei setzt sich hinter das Klavier, spielt für ihre Fans chinesische Pop-Balladen. Persönlich mag sie lieber klassische Musik.

Martin Aldrovandi

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Martin Aldrovandi ist seit 2016 Korrespondent für Radio SRF in Nordostasien mit Sitz in Schanghai. Zuvor hatte er mehrere Jahre lang als freier Journalist aus dem chinesischsprachigen Raum berichtet.

Zwei Stunden spielt sie in einem kleinen Arbeitszimmer im Haus ihrer Eltern jeden Tag Klavier oder Xylophon – live im Internet übertragen in die ganze Welt. Weitere zwei Stunden unterhält sie sich mit ihren Followern.

Auch Bauern nutzen Livestreaming

Livestreaming sei nichts neues, sagt Medienwissenschaftler Cao Peixin von der China Communications University in Peking. So richtig durchgestartet sei es aber erst vor einem Jahr. Inzwischen gebe es mehrere Dutzend Plattformen, auf denen sich Tausende von chinesischen Livestreamern tummeln.

«Man kann das Leben anderer Menschen beobachten», sagt er. «Auch das Leben von Prominenten, viele dieser Livestreamer sind ja schon richtige Stars. Inzwischen gibt es ja sogar auch Bauern auf dem Land, die über ihr Leben online erzählen. Das interessiert wiederum viele urbane Chinesen, die mit dieser gesellschaftlichen Schicht sonst nicht in Berührung kommen.»

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Die junge Livestreamerin Feifei verdient damit im Monat mehrere Tausend Franken – von den Einnahmen kann sie gut leben. Das Bezahlsystem ist innovativ: Die Livestreams funktionieren nicht mit einer Bezahlschranke, die Fans dürfen gratis zuschauen oder bezahlen so viel wie sie wollen.

Dazu erwerben sie eine virtuelle Währung. Mit dieser wiederum können sie ebenfalls virtuelle Geschenke für die Stars kaufen. Das können Herzsymbole sein, Blumensträusse oder auch virtuelle Sportautos, Feuerwerke oder Yachten. Kostenpunkt: von wenigen Rappen bis zu mehreren Tausend Franken.

«Wenn Sie einem Star Blumen schenken, oder gar eine Yacht, dann wird der Livestreamer darauf reagieren. Er spricht sie womöglich direkt mit Namen an – oder wenn es ein Sänger ist, wird er ein Lied spielen, das er Ihnen widmet. Ausserdem bedeuten diese Geschenke für viele Fans auch ein Prestigegewinn. Sie beschenken den Star direkt, und er muss sich bei ihnen bedanken», erklärt Medienwissenschaftler Cao den Boom.

Die Behörden haben die Branche im Blick

Der Boom hat aber auch seine Kritiker. Einige Plattformen wurden von den Behörden gar vorübergehend gesperrt.

Cao glaubt zu wissen, warum: «Ich denke, dass die Livestream-Industrie den chinesischen Behörden derzeit ziemliche Kopfschmerzen bereitet. Für sie ist es wichtig, die Inhalte der Medien kontrollieren zu können, damit diese der offiziellen Ideologie entsprechen, den Sozialismus stärken. Die Inhalte der Livestream-Shows ändern sich jedoch ständig, vieles passiert auch spontan – das macht eine vollständige Kontrolle schwierig.»

Ich denke, dass die Livestream-Industrie den chinesischen Behörden derzeit ziemliche Kopfschmerzen bereitet.
Autor: Cao Peixin Medienwissenschaftler, China Communications University

Ganz stoppen kann und will Chinas Regierung den Boom aber nicht. Denn dieser hat sich längst zu einer Industrie gewandelt: Drei Milliarden Franken sollen allein 2016 damit umgesetzt worden sein. Was mit einzelnen Streamern begann, die aus ihrer Wohnung sendeten, wird zunehmend professionalisiert.

Die Branche wird zunehmend professioneller

Wang Yilin braust mit ihrem weissen SUV über die Stadtautobahn in Nanjing. Die 27-jährige hat sich den Importwagen kürzlich gekauft, die Geschäfte laufen gut. Ihre Firma produziert Livestreams im Internet, berät Unternehmen und Online-Plattformen.

Früher schauten sich die Chinesen Vorstellungen an, gingen ins Theater, an Konzerte oder in eine Bar.
Autor: Wang Yilin Chefin von «Honey Peach»

«Honey Peach» heisst Wang Yilins Firma. Vor gut einem Jahr hat sie sie mit zwei Kollegen gegründet. Heute beschäftigt Wang 20 Angestellte.

«Früher schauten sich die Chinesen Vorstellungen an, gingen ins Theater, an Konzerte oder in eine Bar. Heute kann ich zuhause jemandem auf dem Handy beim Singen zuschauen und ihn direkt bezahlen – ja sogar ein Lied bestellen. Livestreaming eröffnet viele neue Einnahmequellen», erklärt Wang ihren Erfolg.

Die Chinesin Wang Yilin steht vor einem Logo ihrer Firma «Honey Peach».
Legende: Wang Yilins Firma «Honey Peach» organisiert das Product-Placement in den Livestreams. SRF/Martin Aldrovandi

Zum Beispiel auch geschicktes Product-Placement. Im Empfangsraum von Wangs Firma sind verschiedene Produkte aufgestellt. Im Auftrag der Unternehmen bringt Wang diese Produkte bei bestimmten Livestreamern unter, teilweise können diese sogar via eingeblendetem Link direkt bestellt werden.

«Viele Plattformen haben angefangen, professionelle Teams anzuheuern, inklusive Agenturen, die die Livestreamer unter Vertrag nehmen. Unsere Firma fokussiert sich dabei auf die Inhalte, also was die Livestreamer erzählen.»

Wang Yilin und ihr Team schreiben Drehbücher, bieten Show-Ideen mit entsprechenden Produkten an. Bei Grossproduktionen arbeitet sie mit ganzen TV-Crews: inklusive Regisseuren, Tontechnikern und Beleuchtern.

Davon ist die 24-jährige Feifei aus Schanghai noch weit entfernt. Für die Beleuchtung muss eine Lampe ausreichen, an der ihr Handy befestigt ist. Noch mache ihr die Arbeit Spass, sagt sie. Auch müsse sie nicht einem bestimmten Image gerecht werden und könne mit den Fans plaudern was sie wolle.

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