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Londons Ausschaffungspläne Grossbritanniens Deportationspläne sorgen für intensive Debatten

Grossbritannien will illegal Eingereiste nach Ruanda ausschaffen. Das wurde vorläufig verhindert. Nicht alle sind erfreut.

Die Einreise von Migrantinnen und Migranten über den Ärmelkanal soll möglichst verhindert oder unattraktiv gemacht werden. Das will Grossbritannien. Das Land will illegal eingereiste Menschen auch wieder loswerden. Es hat deshalb mit Ruanda vereinbart, diese Menschen dorthin auszuschaffen. Ruanda bekommt dafür von Grossbritannien viel Geld.

Im letzten Moment hat am Dienstagabend ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen ersten solchen Abschiebeflug verhindert – 20 Minuten vor dem Start.

Flüchtlinge sitzen in einem britischen Boot.
Legende: Allein im letzten Jahr kamen über den Ärmelkanal mehr als 28'000 Migranten und Flüchtlinge nach Grossbritannien. Keystone

Das freut die einen. Beispielsweise Juristinnen und Juristen, die sich in den vergangenen Tagen für die Flüchtlinge vor verschiedenen britischen Gerichten engagiert haben. Das sagt Patrik Wülser, Grossbritannien-Korrespondent bei SRF. Auch die politische Opposition sei erleichtert.

Enttäuschung und Ärger seien dafür bei der britischen Regierung spürbar. Insbesondere bei Innenministerin Priti Patel. Sie hat bereits versichert, dass sie sich von diesem Urteil nicht abhalten lasse. Sie sei verantwortlich, das Richtige zu tun, um die britischen Grenzen zu kontrollieren.

Deshalb werde der nächste Flug bereits geplant und der werde kommen. «Konservative Politikerinnen und Politiker tun sich ausserdem schwer, dass ausgerechnet fremde Richter in Strassburg diesen Flug in letzter Minute gestoppt haben», so Wülser.

«Grossbritannien deutet Gesetze situativ um»

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Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 dient als Grundstein für den internationalen Menschenrechtsschutz. Auch die Briten haben nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs wesentlich an dieser Menschenrechtskonvention mitgeschrieben. Es sei jedoch ein Phänomen der aktuellen britischen Regierung, «dass Gesetze und Regeln situativ umgedeutet oder sistiert werden können», erklärt der Grossbritannien-Korrespondent.

So habe Premierminister Boris Johnson bereits in der vergangenen Nacht angedeutet, dass man die Gesetze allenfalls umschreiben müsse, wenn sie der aktuellen Politik der Regierung im Weg stehen würden. «Einige konservative Abgeordnete haben das auch deutlicher ausgesprochen: die Menschenrechtskonvention allenfalls zu kündigen.»

Gegen die Ausschaffungspläne der britischen Regierung stellt sich auch die Kirche. «23 Bischöfe haben sich in einem gemeinsamen Brief sehr deutlich gegen die Pläne der Regierung ausgesprochen», so Patrik Wülser. Der Erzbischof von Canterbury habe die Ruanda-Pläne in einer Predigt bereits vor einigen Wochen als unethisch bezeichnet. Es sei amoralisch, wenn man eine humanitäre Pflicht in ein anderes Land outsource und dafür Geld bezahle. 

Auch aus dem britischen Königshaus hat es wohl kritische Stimmen gegeben. «Prinz Charles hat die Ausschaffung im privaten Kreis offenbar als unsäglich bezeichnet. Dass dies öffentlich publik wurde, ist peinlich für den künftigen Monarchen. Er sollte sich nicht zu tagesaktuellen politischen Geschäften äussern», so Wülser.

Ansichten in der Bevölkerung

Viele Britinnen und Briten unterstützen jedoch den harten Migrationskurs der Bevölkerung. Das zeigen repräsentative Umfragen. «Fast die Hälfte der Befragten», erklärt Wülser.

Aber je nachdem, mit wem der Korrespondent spricht, fallen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Einige würden sich schämen, andere würden die Flüge nach Ruanda sehen wollen. Diese nicht repräsentative Umfrage zeigt: Die Ausschaffungspläne lösen durchaus diametrale Emotionen aus.

Rendez-vous, 15.06.2022, 12:30 Uhr ; 

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