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Grossbritannien Britischer Abschiebeflug nach Ruanda von Gericht gestoppt

London sagt nach einer Intervention des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine umstrittene Abschiebeaktion von Asylsuchenden nach Ruanda in letzter Minute ab. Die britische Regierung will aber an ihren Plänen festhalten.

Der erste geplante Abschiebeflug von Grossbritannien nach Ruanda mit Asylsuchenden verschiedener Nationalitäten ist am Dienstagabend kurz vor dem Start gerichtlich gestoppt worden.

Das meldeten britische Medien unter Berufung auf Regierungsquellen, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg mit einer Intervention die Pläne der britischen Regierung durchkreuzt hatte. London wollte mit dem Flug den umstrittenen Ruanda-Pakt einläuten, mit dem die konservative Regierung weitere Schutzsuchende von der Einreise ins Vereinigte Königreich abschrecken will.

Seltene Intervention aus Strassburg

Konkret forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Grossbritannien in einer sogenannt einstweiligen Massnahme auf, einen irakischen Asylsuchenden vorerst nicht nach Ruanda auszuschaffen: Der Mann sei frühestens in drei Wochen nach einer finalen Entscheidung im laufenden britischen Verfahren ausser Landes zu bringen.

Über die endgültige Entscheidung im Fall des Irakers solle der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte informiert werden, verlangte Strassburg. Einstweilige Massnahmen seien verbindlich und würden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr auf irreparablen Schaden ausgesprochen.

Passagierliste schrumpfte auf null

Von britischen Gerichten gab es für den Flug zwar grundsätzlich grünes Licht. Allerdings waren viele Einzelklagen erfolgreich, weshalb die Zahl der für Dienstagabend eingeplanten Passagiere in den Tagen zuvor immer kleiner wurde. Die Entscheidung aus Strassburg kurz vor dem geplanten Abflugtermin sorgte dafür, dass die Zahl der Ausreisenden auf null sank, sodass der Flug gestrichen wurde.

Was beabsichtigt die Regierung Johnson?

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Die britische Regierung will mit den Abschiebeflügen nach Ruanda für illegal eingereiste Asylbewerber weitere Menschen davon abhalten, über den Ärmelkanal nach Grossbritannien zu kommen. Allerdings: Seit Bekanntwerden des Ausschaffungsprogramms im April sind 3500 Menschen über den Kanal nach Grossbritannien gekommen – weit mehr als in derselben Zeitspanne vor einem Jahr. «Die Massnahme ist aber sicher auch ein Teil der Überlebensstrategie für Boris Johnson», sagt SRF-Korrespondent Patrik Wülser. Schliesslich sei es sein Brexit-Versprechen, die Zuwanderung in den Griff zu bekommen.

London kritisiert Intervention

Trotz der Niederlage vor Gericht will die britische Regierung an ihren Plänen festhalten. «Wir lassen uns nicht davon abschrecken, das Richtige zu tun und die Grenzen unserer Nation zu schützen», sagte Innenministerin Priti Patel in einer ersten Stellungnahme. Man arbeite bereits daran, einen nächsten Flug vorzubereiten.

«Ich bin enttäuscht, dass Klagen und Rechtsstreitigkeiten in letzter Minute dafür gesorgt haben, dass der heutige Flug nicht abheben konnte», ergänzte Patel. Es sei sehr überraschend, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich eingeschaltet habe, nachdem britische Gerichte zuvor anders entschieden hätten.

Keine Rückkehr nach Grossbritannien

Grossbritannien hat im Willen, härter gegen irreguläre Migration vorzugehen, eine Vereinbarung mit Ruanda geschlossen. Menschen, die illegal nach Grossbritannien gelangt sind, sollen unabhängig von ihrer Nationalität oder Herkunft in das Land gebracht werden und dort die Möglichkeit für einen Asylantrag erhalten. Auch wenn sie dort als Flüchtlinge anerkannt werden, soll es in keinem Fall eine Rückkehr nach Grossbritannien geben.

Die Vereinten Nationen sehen darin einen Bruch internationalen Rechts und einen gefährlichen Präzedenzfall. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz im französischen Strassburg gehört zum Europarat. Gemeinsam setzen sich die von der Europäischen Union unabhängigen Organe für den Schutz der Menschenrechte in den 46 Mitgliedstaaten ein.

Wieso gerade nach Ruanda?

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Ruanda erlebte 1994 einen Völkermord, Hunderttausende Menschen wurden dabei getötet. Deshalb wüssten die Menschen dort, wie wichtig ein sicherer Zufluchtsort sei, sagt die Journalistin Bettina Rühl. Sie lebt in Nairobi. Kritiker dagegen monieren, Ruanda suche bloss nach politischer Anerkennung aus dem Ausland. Rühl sagt denn auch: «Für das autoritär regierte Ruanda ist das ein wunderbarer PR-Erfolg.» Das Land werde wegen seiner Menschenrechtslage immer wieder kritisiert und produziere selber auch Flüchtlinge, doch jetzt könne es sich plötzlich als Zufluchtsort für Flüchtlinge präsentieren. Allerdings: Ruanda ist eines der am dichtesten besiedelten Länder Afrikas – allein deshalb scheint das Land nicht unbedingt geeignet, zusätzliche Asylbewerber aus Europa aufzunehmen.

SRF 4 News, Echo der Zeit vom 14.06.22, 18:00 Uhr ; 

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