Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will Soldaten nach Libyen schicken, um die Regierung zu unterstützen. Im Januar werde er dem Parlament in Ankara ein entsprechendes Gesetz vorlegen. Volker Pabst, NZZ-Korrespondent in Istanbul, schätzt diesen Schritt ein.
SRF News: Was bezweckt Erdogan mit seinem Eingreifen?
Volker Papst: Es geht Erdogan nicht nur um Libyen, es geht ihm um das gesamte östliche Mittelmeer. Die Türkei ist in dieser Region weitgehend isoliert. Mit Ägypten hat man sich überworfen, mit Israel auch, mit Griechenland und Zypern sowieso. Libyen ist der letzte Verbündete, der der Türkei bleibt in dieser geostrategisch wichtigen Region. Es geht Erdogan darum, sich den einzigen Verbündeten zu sichern und dieser Verbündete ist der Ministerpräsident der international anerkannten Regierung und nicht sein Widersacher. Deswegen will Erdogan den Ministerpräsidenten stützen.
Gleichzeitig kann Erdogan die Türkei mit diesem Schritt aber auch als unabhängige Regionalmacht etablieren?
Ja – das hängt zusammen. Es geht der Türkei unter Erdogan seit längerem darum, eine eigenständige Aussenpolitik zu betreiben, Eigeninteressen zu verfolgen und eine Regionalmacht zu werden. Da hat man zum Beispiel in Ägypten auf Kräfte gesetzt, die den Muslimbrüdern nahestehen. Auch in Libyen geht es genau darum: einen natürlichen Verbündeten Ankaras zu stützen und dadurch den Einfluss der Türkei zu wahren oder auszubauen.
Das Eingreifen dürfte aber einen anderen Verbündeten verärgern: Russland. Moskau unterstützt nämlich den Widersacher der offiziellen Regierung, General Haftar. Geht Erdogan bewusst auf Konfrontation mit Wladimir Putin?
Er ist sich dessen sicher bewusst und nimmt es in Kauf. Ich weiss nicht, inwiefern die Türkei Russland wirklich uneingeschränkt als Verbündeten versteht. Die beiden Länder haben in Syrien teils gemeinsame Interessen, aber nicht nur. In Idlib, der letzten Rebellenhochburg im Nordwesten Syriens, sind türkische Militärposten in starke Bedrängnis geraten durch die Offensive Assad-treuer Kräfte.
Ich glaube, dass es wahrscheinlich zwischen Ankara und Moskau zu einer Absprache kommt.
Da ist man also überhaupt nicht auf einer Linie mit Russland. Ich glaube, dass es wahrscheinlich zwischen Ankara und Moskau zu einer Absprache kommt, wo man dann vielleicht auf der einen Seite in Syrien nachgibt und dafür in Libyen etwas erhält. Die Frage ist natürlich, wer am längeren Hebel sitzt. Nach meiner Einschätzung ist das Russland.
Warum?
Ich weiss nicht, ob die Türkei in der Lage ist, das Kräfteverhältnis in Libyen nachhaltig umzustürzen. In Syrien hat man mit der Militäroperation im Oktober den eigenen Einfluss vergrössert. Dennoch scheint man nicht in der Lage zu sein, zu schauen, dass die letzte Rebellenhochburg Idlib unter die Kontrolle des Regimes gerät.
Ich weiss nicht, ob die Türkei in der Lage ist, das Kräfteverhältnis in Libyen nachhaltig umzustürzen.
In den letzten Tagen sind Zehntausende von Zivilisten an die türkische Grenze geflüchtet. Das Letzte, was Erdogan braucht, sind neue Flüchtlinge aus Syrien.
Sie haben es erwähnt, das Szenario in Libyen erinnert an Syrien , wo ebenfalls diverse Länder in einem inländischen Konflikt mitmischen . Droht Libyen zu einem zweiten Syrien zu werden?
Dass sehr viele unterschiedliche Länder und Mächte in diesen Konflikt involviert sind, ist bereits Realität. General Haftar wird nicht nur von Russland unterstützt, sondern auch von den Golfstaaten, also regionalen Konkurrenten der Türkei. Der Konflikt ist bereits internationalisiert – und wenn jetzt die Türkei Truppen oder andere bewaffnete Einheiten schickt, dann wird das auf jeden Fall diese Dynamik verstärken.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.