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Machtkampf in Polen Zwei PiS-Politiker landen in Gefängnis

  • Nach ihrer Verhaftung im Präsidentenpalast sind zwei wegen Amtsmissbrauchs verurteilte Parlamentarier der nationalkonservativen PiS im Gefängnis gelandet.
  • Einer der Inhaftierten, Ex-Innenminister Mariusz Kaminski, ist in einen Hungerstreik getreten, hiess es von seiner Partei auf der Plattform X.
  • Der Fall der beiden Politiker hatte am Dienstag zu einer Eskalation des Konflikts zwischen der neuen Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und dem Lager der abgewählten nationalkonservativen PiS geführt.

Polens Staatspräsident Andrzej Duda, der aus der PiS stammt, hatte am Dienstag den ehemaligen Innenminister Mariusz Kaminski und seinen früheren Staatssekretär Maciej Wasik im Präsidentenpalast empfangen. Eigentlich hätten die beiden just zu dieser Zeit ihre Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs antreten müssen.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als hätten die gesuchten PiS-Politiker im Palast Schutz gefunden. Am Nachmittag meldeten sich Kaminski und Wasik dort im Hof zu Wort. «Wir verstecken uns nicht. Im Moment sind wir bei Polens Präsidenten, bis das Böse verliert», sagte Kaminski. Wie lange sie dort bleiben wollten, sagte er nicht.

Am Dienstagabend drang die Polizei auf das Gelände vor und nahm die Politiker fest. Nach polnischen Medienberichten soll Duda das Gebäude zuvor verlassen haben.

Menschen halten auf einem Platz Protesttafeln in die Luft.
Legende: Unterstützerinnen und Unterstützer der Opposition in Polen protestierten am Dienstag vor dem Präsidentenpalast gegen die Festnahme der beiden PiS-Politiker. Keystone/EPA/Radek Pietruszka

Kaminski und Wasik seien in die Justizvollzuganstalt gebracht worden, teilte die Polizei in Warschau am späten Dienstagabend auf der Plattform X mit. Vor dem Gefängnis im Warschauer Stadtteil Grochow versammelte sich in der Nacht eine Gruppe von PiS-Abgeordneten, darunter auch Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Er bezeichnete Kaminski und Wasik als «politische Gefangene» und forderte vergeblich Einlass in die Haftanstalt.

Einschätzung von SRF-Osteuropakorrespondentin Sarah Nowotny

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Die grosse Frage in Polen ist nun: Wie räumt man so ein Chaos auf? In einem Land, in dem es zwei parallele Wirklichkeiten, zwei parallele Rechtssysteme gibt. In dem die einen von «politischen Gefangenen», die anderen von «Gleichheit vor dem Recht» sprechen.

Elegant geht das Aufräumen wohl nicht. Aber so dramatisch, wie die neue Regierung jetzt aufräumt, das müsste auch nicht sein. Denn das provoziert viele in Polen so stark, dass das Chaos im schlimmsten Fall nur grösser wird.

Man kann zwar sagen, dass geltendes Recht in Polen heute in vielen Fällen unrechtmässig zustande gekommen ist. Trotzdem ist es geltendes Recht. Und wenn die neue Regierung es einfach nicht beachtet, werden ihre Gegner ihre Aufräumaktion ohnehin nicht anerkennen und sich nicht besänftigen lassen. Sanfter und womöglich nachhaltiger wäre es, über neue Gesetze, weitere Wahlen aufzuräumen, auch wenn das viel länger dauert.

Kaminski nannte auf X, früher Twitter, seine Verurteilung eine «politische Rache». Präsident Duda sagte, er sei zutiefst erschüttert über die Verhaftung der beiden Politiker. Er würde nicht ruhen, bis sie wieder frei seien.

Konflikt eskaliert

Mit dem Vorfall spitzt sich der Machtkampf zwischen der abgewählten und der neuen Regierung Polens zu. Der Konflikt könnte für das EU- und Nato-Land zu einer Staatskrise auswachsen. Eine eigentlich für Mittwoch geplante Parlamentssitzung wurde wegen der chaotischen Lage auf kommende Woche verschoben.

Der neue Ministerpräsident Donald Tusk drohte Duda und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, sie würden wegen «Sabotage der Verfassung» zur Verantwortung gezogen. Er warnte auch davor, dass der Vorfall Polen in eine «sehr gefährliche Situation» führen werde. Die Handlungen zielten auf die Fundamente des Staates.

Von Duda begnadigt

Der Fall der beiden PiS-Politiker hat eine lange Vorgeschichte. Ursprünglich begnadigte Duda die beiden in einem Fall von Amtsmissbrauch. Im vergangenen Juni hob ein Gericht die Begnadigung auf.

Die Verurteilung und die Begnadigung im Detail

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Jaroslaw Kaczynski sitzt nach der Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags neben Andrzej Lepper.
Legende: Das Durcheinander begann vor 17 Jahren: Jaroslaw Kaczynski, damaliger Chef der polnischen Regierung (links), wollte seinen aufmüpfigen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper (rechts) loswerden. Keystone/Czarek Sokolowksi (16.10.2006)
  • 2015 wurden die beiden PiS-Politiker in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt. Grund war eine im Jahr 2007 aufgedeckte Affäre, bei der die damals von Kaminski geleitete Antikorruptionsbehörde gezielt einen Korruptionsfall inszeniert haben soll, um den damaligen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper zu diskreditieren .
  • Jaroslaw Kaczynski, damaliger Chef der polnischen Regierung, wollte seinen aufmüpfigen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper loswerden. Die Antikorruptionsbehörde beschloss, dem Landwirtschaftsminister eine Falle zu stellen. Antikorruptionsbeamte gaben sich als Schweizer Geschäftsleute aus. Sie taten so, als wollten sie bezahlen, damit aus Landwirtschaftsland Wohnbauland wird. Doch irgendjemand warnte den Landwirtschaftsminister. Der Chef der Antikorruptionsbehörde und sein Vize wurden verurteilt wegen Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung . Kaminski und Wasik gingen gegen das Urteil in Berufung.
  • Direkt nach der Machtübernahme der PiS im Jahr 2015 hatte Duda Kaminski und Wasik in einer umstrittenen Entscheidung begnadigt . Experten bezweifelten die Rechtmässigkeit , da Begnadigungen nur für Fälle vorgesehen seien, die durch alle gerichtlichen Instanzen gegangen seien.
  • Im vergangenen Juni hatte der Oberste Gerichtshof die Begnadigung Kaminskis und Wasiks durch den Präsidenten aufgehoben . Begnadigt werden könne nur, wer rechtskräftig verurteilt sei, hiess es in der Urteilsbegründung.

Wasik und Kaminski mussten sich erneut dem Verfahren stellen. Ende Dezember verurteilte sie das Warschauer Bezirksgericht zu zwei Jahren Haft. Das Gericht verfügte auch, dass beide PiS-Politiker für fünf Jahre kein öffentliches Amt bekleiden dürften und ihr Abgeordnetenmandat verlieren sollten.

Duda hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass nach seiner Auffassung die Begnadigung weiter gelte – führende Verfassungsrechtler in Polen sahen das aber anders. Beide Politiker hatten angekündigt, sie wollten ihr Abgeordnetenmandat weiter wahrnehmen und zu den Parlamentssitzungen erscheinen.

SRF 4 News, 09.01.2024, 22:00 Uhr ; 

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