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Madrid in der Sackgasse Spanien ist überfordert

Spanien ist blockiert. Spanien ist überfordert. Seit fünf Jahren kommt das Land nicht aus seinen Wahlkämpfen raus. Der Novembertermin ist die vierte nationale Wahl innerhalb von vier Jahren. Das hat es noch nie gegeben. Dazwischen lagen Regional-, Kommunal- und Europawahlen.

Politik ist zur Show geworden, zum lauten und grellen Schaukampf. Wer immer sich äussert, hat einen bevorstehenden Wahltermin im Auge. Politische Projekte mussten und müssen warten.

Mit Podemos kam die Erosion

Begonnen hat dieser Zustand 2014, als die unbekannte, damals erst frisch gegründete Partei Podemos in den Europawahlen auf Anhieb fünf Sitze schaffte und sich damit auch auf die nationale politische Bühne katapultierte.

Ein Senkrechtstarter war da, der in den Umfragen sofort steil aufstieg und Ende Jahr die Umfragen mit fast 30 Prozent anführte. Die Traditionsparteien, Sozialisten und Konservative, zitterten. Sie erkannten, dass fortan nichts mehr sein würde, wie es einmal war.

Im Parlament gab es keine klaren Mehrheiten mehr. Regieren wurde zum komplizierten und anstrengenden Geschäft. Mehr noch, als sich die Regionalpartei Ciudadanos auch noch aufs nationale Parkett wagte und später dann VOX, der Rechtsableger der Konservativen. Alle wollen an die Macht, und keiner will die Macht teilen.

Kompromisse? Nicht in Spanien

Koalitionen kennt die junge spanische Demokratie nicht. Politik ist ein absolutes Geschäft, in dem Nuancen wenig Raum haben und Kompromisse noch weniger.

Genau daran ist Pedro Sánchez gescheitert. Der Parteichef der Sozialisten und amtierende Ministerpräsident hat wenig Lust auf Verhandlungen gezeigt. Und der linken Podemos hat er von Anfang an misstraut. Aber wenn nicht mit ihr, mit wem denn sonst?

2016 versuchte Sánchez es mit Ciudadanos, die man damals noch als wirtschaftsliberal bezeichnen konnte. Heute bewirtschaftet die aber das Feld weit rechts im politischen Spekturm und verweigert sich den Sozialisten.

Keine Partner in Sicht

Eine Minderheitsregierung, wie Sánchez sie wollte, braucht Parteien, die sie in der Regierung tolerieren – und die gibt es heute in Spanien nicht. Ob Wahlen daran etwas ändern können, ist zweifelhaft. Die linke Basis droht nach dem Debakel, am 10. November zu Hause zu bleiben.

Auch wenn die Sozialisten voraussichtlich immer noch am meisten Stimmen erwarten dürfen, wird ihnen das nichts nützen. Die Folgen der heftigen Streitereien würden neue Verhandlungen belasten. Oder wieder blockieren. Und rechts der Sozialisten (eigentlich Sozialdemokraten), ist heute kein Partner in Sicht.

Spanien muss den Pluralismus annehmen

Die Rechten könnten versuchen mit einem Wahlbündnis aufzutreten und so mehr Stimmen (und Sitze) zu erobern. Bis November werden auch die Urteile im Prozess gegen die katalanischen Separatisten gefällt sein. Der Konflikt in Katalonien flammt dann wohl wieder auf. Das gäbe der Rechten Auftrieb.

Das alles kann zu gewissen Verschiebungen führen. Aber die heutigen Umfragen ergeben für November dennoch kein grundlegend anderes Bild als es sich heute bietet. Spanien wird wieder stabil regierbar sein, wenn die Politiker die neuen pluralistischen Verhältnisse akzeptieren und lernen, damit umzugehen. Ja, Spanien steckt in einem Lernprozess. Und der braucht Zeit.

Martin Durrer

Auslandredaktor, SRF

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Martin Durrer arbeitet seit 1989 bei Radio SRF. Er war unter anderem als Leiter der Auslandredaktion tätig und berichtete aus Lateinamerika mit Sitz in Buenos Aires.

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