Auch wenn die Rentenreform seit bald zwei Monaten beschlossene Sache ist, kämpfen die Gewerkschaften weiter dagegen an. Heute wollen sie erneut Hunderttausende auf die Strassen bringen – an vorderster Front Manès Nadel.
Frankreichs Medien bilden den Protest gegen die Rentenreform flächendeckend ab. Ein Kamerateam des Nachrichtensenders BFM TV steht Ende Januar vor dem traditionsreichen Lycée Voltaire im 11. Arrondissement von Paris. Der Eingang zum Schulhaus ist mit Kehrichtcontainern abgesperrt, davor einige Schüler mit Transparenten und Megafon.
Die Regierung will alle so schnell wie möglich zur Arbeit und in den Dienst des Kapitals zwingen.
Überzeugender erster Auftritt
Der Kleinste von ihnen in der Mitte ist ihr Sprecher und erklärt der Reporterin, warum auch Junge gegen die Rentenreform protestieren: «Es geht nicht nur um die Rentenreform, die Regierung will alle so schnell wie möglich zur Arbeit und in den Dienst des Kapitals zwingen.»
Manès Nadel betont, dass wegen der Rentenreform alle mindestens zwei Jahre länger arbeiten müssten, manche sogar noch viel mehr. Als Junge seien sie mit den Älteren solidarisch und spürten die Folgen ebenfalls: «Wenn das Rentenalter steigt, wird dies allgemein die Arbeitslosigkeit erhöhen – auch bei den Jungen.»
Der kurze Auftritt des Schülers bei BFM TV schlägt ein. Seit dem ersten Auftritt haben ihn laut dem Sender über anderthalb Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer gesehen. Mittlerweile tritt er regelmässig dort auf, und auch viele andere porträtieren ihn.
Sohn einer ehemaligen Präfektin
Der 15-jährige Mittelschüler, der so geschliffen argumentiert wie gestandene Politiker, kommt aus einem politischen Haushalt. Seine Mutter war als Präfektin hohe Verwaltungsbeamtin, bis Innenminister Gérald Darmanin sie vor einigen Monaten entliess. Aus politischen Gründen, wie französische Medien berichten: Den rechtsaussen politisierenden Minister hätten die Sympathien der Präfektin für die Grünen gestört.
Das Interesse der Medien gilt aber nicht nur Nadels rhetorischem Talent. Sein Engagement ist auch avantgardistisch. Auf breiter Front habe sich die Jugend erst ab Mitte März gegen die Rentenreform mobilisiert, sagt Dominique Andolfatto, Politologieprofessor an der Universität Burgund in Dijon.
Denn damals habe die Regierung entschieden, die Reform ohne eigentliche Abstimmung im Parlament zu beschliessen. Der Protest der Jugend richte sich vor allem gegen diese autoritäre Haltung der Regierung, so Andolfatto.
Medien sehen Nadel in der Politik
Französische Medien sagen Nadel bereits eine politische Karriere voraus. Studentenorganisationen gelten bei Parteien als Talentschmieden und Pools für Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalversammlung.
Finden die nächsten Parlamentswahlen planmässig 2027 statt, wird er mit 19 Jahren knapp volljährig sein. Würde er dann tatsächlich ins Parlament gewählt, wäre er erneut Avantgarde – als jüngster Abgeordneter in der Geschichte Frankreichs.