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Medien über AfD-Erfolg So fallen die Reaktionen auf die deutschen Landtagswahlen aus

Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ist in Deutschland mit der AfD eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden. So berichten Schweizer und internationale Medien über den historischen Wahlabend in Thüringen und Sachsen.

Der «Tagesanzeiger» kommentiert: «Breite Mehrheiten in Ostdeutschland wollen die irreguläre Einwanderung nicht bremsen, sondern stoppen – und die Lieferung von Waffen an die Ukraine ebenfalls. Beide Themen erklären den Triumph der rechtsextremistischen AfD und der neuen populistischen Querfront-Gruppe von Sahra Wagenknecht.» Beiden Parteien sei es gelungen, den «Unmut über die Regierung in Berlin auf ihre Mühlen zu lenken», besser als der wichtigsten Oppositionspartei in Deutschland, der CDU.

Aber auch die CDU gehöre zu den Siegern, kommentiert die Tageszeitung weiter. «Anders als die AfD, die in ihrem Extremismus isoliert bleibt, ist die CDU die letzte Partei der breiten Mitte, um die herum sich in solch konservativen Landstrichen überhaupt noch Regierungen bilden können: In Sachsen behauptet sich Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen die AfD, in Thüringen winkt Mario Voigt die Staatskanzlei – schwierige Koalitionsverhandlungen vorbehalten.»

Hingegen sei für die SPD um Kanzler Olaf Scholz der erste Wahltag im Osten «rabenschwarz» ausgefallen. Gingen die Sozialdemokraten in drei Wochen auch in Brandenburg unter und verliere ihr Ministerpräsident Dietmar Woidke dort seine Macht, wackele auch Scholz. «In Hinblick auf die Bundestagswahlen in einem Jahr ist eine Revolte der Partei gegen ihn dann nicht mehr auszuschliessen.»

Scholz: Parteien müssen Bündnisse ohne AfD bilden

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Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat die Ergebnisse der Landtagswahlen als «bitter» bezeichnet und die Parteien in Sachsen und Thüringen aufgefordert, Bündnisse ohne die AfD zu schmieden. «Alle demokratischen Parteien sind nun gefordert, stabile Regierungen ohne Rechtsextremisten zu bilden», sagte Scholz der Nachrichtenagentur Reuters. Er äusserte sich als SPD-Bundestagsabgeordneter. Die Ergebnisse für die AfD in Sachsen und Thüringen würden ihm Sorgen bereiten. «Daran kann und darf sich unser Land nicht gewöhnen. Die AfD schadet Deutschland. Sie schwächt die Wirtschaft, spaltet die Gesellschaft und ruiniert den Ruf unseres Landes», betonte Scholz.

Zur Wahlniederlage der Ampel-Parteien in Thüringen schreibt die «NZZ» in einem Meinungsartikel von einem «Debakel», das zeige, wie sehr sich das Ansehen des Kabinetts um Kanzler Scholz «im freien Fall» befinde.

Von einer ‹Brandmauer› kann jene Partei am stärksten profitieren, deretwegen diese errichtet wurde.
Autor: «Neue Zürcher Zeitung» in einem Kommentar

«Der Triumph der AfD belegt, dass viele Wähler sich weder von den Berichten des Inlandsgeheimdienstes noch von den Warnungen der politischen Konkurrenz oder von besorgten Leitartiklern beeindrucken lassen.» Die AfD sei trotz oder gar wegen ihres ressentimentgeladenen Landeschefs Höcke die bestimmende Kraft im Osten.

Männer klatschen in einer Halle in die Hände. AfD-Fahnen werden geschwenkt.
Legende: Jörg Urban (vorne rechts), Vorsitzender der AfD in Sachsen und Spitzenkandidat, klatscht freudig in die Hände, nachdem die ersten Prognosen zu den Wahlresultaten veröffentlicht werden. dpa/Kay Nietfeld

Die «NZZ» schliesst: «Eine Politik, die die Mitte der Bevölkerung aus den Augen verliert, darf sich nicht wundern, wenn die Ränder erstarken. Und von einer ‹Brandmauer› kann jene Partei am stärksten profitieren, deretwegen diese errichtet wurde.»

«Flasche leer?», «Überzeugung statt Protest»

Der deutsche «Spiegel» titelt in Anlehnung an die legendäre Wutrede von Giovanni Trapattoni beim Fussballclub Bayern München vor mehr als 20 Jahren: «Flasche leer?». Für die Bundesregierung seien die Wahlen in Thüringen und Sachsen eine «Katastrophe». Lediglich jeder Zehnte stimmte für eine der drei Ampel-Parteien.

Die deutsche Tagesschau schreibt, dass AfD-Anhängerinnen und -Anhänger ihre Partei vor allem aus Protest wählten. Dies sei nun anders: «Der AfD wird mittlerweile Problemlösungskompetenz zugeschrieben.» Noch vor einigen Jahren sei die AfD die «klassische Protestpartei» gewesen. Dass die Partei damals Probleme lösen könnte, hatte der Partei kaum jemand zugetraut. Doch die AfD hätte dazugelernt: «Zwar sind die Auseinandersetzungen innerhalb der Partei immer noch so heftig wie eh und je, aber so etwas dringt nur noch selten nach aussen. Die AfD gibt sich Mühe, als professioneller wahrgenommen zu werden – und dieses Bemühen hat sich nun zum ersten Mal ausgezahlt.»

Wie die Amerikaner und Briten auf die Wahlen blicken

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Das US-amerikanische «Wall Street Journal» schreibt: «(…) Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag (…) sorgen für weitere Bestürzung auf einem Kontinent, der bereits durch den Niedergang der traditionellen Parteien und den Aufstieg der Aufständischen verunsichert ist.»

«(…) Das grössere Problem ist, was der gemeinsame Aufstieg der AfD und des BSW über den Kollaps der Regierungsparteien in Deutschland aussagt. (…) Es bestätigt, was nationale Umfragen schon seit einem Jahr oder länger sagen: Die Wähler haben die Nase voll von Olaf Scholz und einer Koalition, die Migration nicht steuern kann und sich trotz des greifbaren und wachsenden wirtschaftlichen Schadens an Klimazielen festklammert.»

«Damit bleiben als einzige Mainstream-Alternative zu den Aufständischen nur noch die Christdemokraten (die CDU und Bayerns CSU). Man darf es den deutschen Wählern nicht vorwerfen, keine Geduld mehr mit ihren dysfunktionalen Regierungsparteien zu haben. Man sollte den Vorwurf den etablierten Politikern machen, die zu langsam sind und Nabelschau betreiben, während der Frust der Wähler steigt.»

«The Economist» aus Grossbritannien  ordnet die Wahlen wiefolgt ein: «Der symbolische Charakter der Ergebnisse wird mehr Gewicht haben als ihr Inhalt. Es stimmt, dass über 40 Prozent der Wähler in beiden Staaten populistischen Parteien ihre Stimme gaben, die manchmal wie Sprachrohre des Kremls klingen. Aber die deutschen Länder haben kaum Einfluss auf die Aussenpolitik des Landes. Auch können die Wahlergebnisse in zwei kleinen Staaten, deren Gesamtbevölkerung von 6.2 Millionen etwa 7 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung ausmacht, nicht als nationaler Indikator angesehen werden.»

SRF 4 News, 2.9.2024, 6:00 Uhr ; 

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