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Megaprojekt im eisigen Norden Chinas nordischer Traum von der Arktischen Seidenstrasse

Die Klimaerwärmung lässt das Eis in der Arktis schmelzen. Das will sich China zunutze machen und nimmt neue Handelsrouten und Bodenschätze ins Visier. Doch in der Arktis wächst der Widerstand.

Es ist, als ob sich unverhofft die Tür öffnen lässt zu einem Raum voller Träume und Albträume, für Ambitionen und Konflikte. Während Millionen von Jahren lag der Arktische Ozean rund um den Nordpol unter einer dicken Eisschicht. Nur da und dort am Rande der Arktis haben sich Menschen niedergelassen, in karger, frostiger Umgebung, zum Beispiel in Grönland oder an der Nordküste Russlands. Wirtschaftlich und politisch spielte die Region nie eine nennenswerte Rolle.

Doch die Klimaerwärmung verwandelt die Arktis in schicksalhafter Weise. Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass der Nordpol bereits Mitte des 21. Jahrhunderts in den Sommermonaten eisfrei sein dürfte, die durchschnittliche Lufttemperatur in der Arktis könnte im Jahr 2100 um bis zu neun Grad gestiegen sein. An den Küsten des Arktischen Ozeans weicht unberührte Natur einem neuen Verkehrs- und Wirtschaftsraum. Es locken Handelsrouten und unentdeckte Bodenschätze.

Für Klimaschützerinnen und Klimaschützer ein Albtraum, für die Volksrepublik China Anlass für ein weiteres Megaprojekt: die Arktische Seidenstrasse. 2018 skizzierte die chinesische Führung unter Staatschef Xi Jinping die Arktische Seidenstrasse in einem Weissbuch, nun soll das Vorhaben Schritt für Schritt Gestalt annehmen.

Letzter Teil von Chinas Megaprojekt

Damit will China den dritten und letzten Teil der Neuen Seidenstrasse verwirklichen. Die Neue Seidenstrasse ist eines der grössten Infrastrukturprojekte der Menschheitsgeschichte. Als Vorbild dient die antike Seidenstrasse, die China bereits vor mehr als 2000 Jahren mit Europa verband. Damals war das Kaiserreich China die Wirtschaftssupermacht im Osten und betrieb regen Handel mit dem Römischen Reich im Westen.

Die Neue Seidenstrasse besteht aus drei Korridoren: einem mittleren von China über Land quer durch Asien bis nach Europa, einem südlichen entlang von Küsten und über Meere nach Afrika und schliesslich Europa und einem nördlichen – arktischen – auf der sogenannten Nordostpassage entlang der russischen Nordküste und durch den Arktischen Ozean.

In den drei Korridoren investiert China in neue Autobahnen und Eisenbahnlinien, in Bahnhöfe, in See- und Flughäfen, die allesamt dem Handel zwischen China und anderen Weltregionen zugutekommen sollen. Entlang der Verkehrswege beteiligt sich China aber auch an der Ausbeutung von Bodenschätzen, am Bau von Fabriken und Kraftwerken oder an neuen Glasfasernetzen.

«Die Neue Seidenstrasse ist vor allem ein Projekt von und für die Chinesinnen und Chinesen», sagt Claudia Stahel, SRF-Korrespondentin in China. Viele Länder verschuldeten sich, wenn sie sich von China ihre Häfen, Eisenbahnlinien und Strassen bauen liessen. Die Bauprojekte gingen oft an chinesische Firmen statt ans lokale Gewerbe. So haben sich Länder wie Sri Lanka oder Griechenland den Bau von Infrastrukturprojekten finanzieren lassen und stehen jetzt bei China in der Kreide.

Mehr als 140 Staaten beteiligen sich in irgendeiner Weise an der Neuen Seidenstrasse: von Vietnam über Indien, Saudi-Arabien und Ägypten bis nach Italien und in die Schweiz.

Im Vergleich zu den herkömmlichen Seewegen wäre die Arktische Seidenstrasse eine energie- und kostensparende Abkürzung, die Containerschiffe könnten konfliktreiche und Pannen-anfällige Passagen wie das Südchinesische Meer oder den Suezkanal umfahren. Doch noch kann die Nordostpassage nur mit Eisbrechern durchfahren werden, noch ist sie wirtschaftlich bedeutungslos.

Wo die Bodenschätze warten

Mit Blick auf die Folgen der Klimaerwärmung hat die Planung der Arktischen Seidenstrasse aber bereits begonnen. Auf den norwegischen Spitzbergen-Inseln und auf Island betreibt China mehrere Forschungsstationen, in Russland will es sich am Bau mehrerer Häfen beteiligen, in Finnland eine Eisenbahnlinie mitfinanzieren.

Schliesslich werden in der Arktis 30 respektive 13 Prozent der noch unentdeckten Erdgas- und Erdöl-Vorkommen vermutet; auf Grönland und Spitzbergen gibt es Uran, Gold und Seltene Erden, die in der Hightech-Industrie zum Einsatz kommen.

China ist gefordert. Denn wie im südlichen und im mittleren Korridor der Neuen Seidenstrasse ist die Volksrepublik auch in der Arktis auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern angewiesen. Und der Wettlauf um die Arktis hat längst begonnen.

Karte mit Arktis-Staaten
Legende: Es gibt acht Arktis-Staaten: die USA, Kanada, Grönland (das zu Dänemark gehört), Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. SRF

Acht Staaten haben mit ihrem Festland, ihren Inseln und Küstengewässern Anteil an der Arktis, nämlich Russland, die USA und Kanada sowie Island, Norwegen, Schweden und Finnland, ausserdem Dänemark mit der Insel Grönland.

Russland hat die arktischen Erdgas- und Erdölvorkommen ins Visier genommen und baut seine Militärstützpunkte in der Arktis aus.

Der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump scheiterte 2018 mit dem Versuch, der dänischen Regierung das rohstoffreiche Grönland abzukaufen.

«Das hat damals viel Kopfschütteln, auch Entrüstung ausgelöst, vor allem in Dänemark, das ja Grönland mitverwaltet», sagt Bruno Kaufmann, SRF-Mitarbeiter in Skandinavien. Aber in Grönland selber habe man sich gefreut, weil Trump mit seiner Aussage gezeigt habe, dass auch die USA wieder Interesse an der Arktis haben.

Trumps Avancen waren also durchaus ein Beleg für die wachsende wirtschaftliche und weltpolitische Bedeutung der Arktis. Auch in Kanada und Nordeuropa wächst die Erkenntnis, dass die Arktis in Zukunft viel mehr Aufmerksamkeit erfordern wird.

Gehör verschaffen sich ihrerseits die arktischen Urvölker, deren Lebensräume sich über mehrere Arktis-Staaten erstrecken, etwa die Inuit in Kanada und Grönland oder die Samen in Nordeuropa und Russland.

Skepsis gegenüber China wächst

Den insgesamt vier Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern der Arktis ist nicht entgangen, dass die Neue Seidenstrasse vielerorts auch und vor allem in die Abhängigkeit von China geführt hat.

Inuit beim Angeln im Eis
Legende: Zu den insgesamt vier Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern der Arktis gehören zum Beispiel die Inuit in Grönland. Getty Images

Kein Wunder, wächst in der Arktis die Furcht vor China – und die Skepsis gegenüber der Arktischen Seidenstrasse. Die Parlamentswahl in Grönland hat im vergangenen April die Inuit-Partei Inuit Ataqatigiit gewonnen, nachdem sie sich im Wahlkampf gegen den Abbau Seltener Erden durch eine chinesische Firma stark gemacht hatte. Und die finnische Regierung hat die chinesischen Pläne für die Mitfinanzierung einer Eisenbahn vorerst auf Eis gelegt.

Die Ambitionen Chinas beunruhigen auch Line Nagell Ylvisåker. Die Journalistin aus Spitzbergen hat ein viel beachtetes Buch über die Folgen des Klimawandels in der Arktis geschrieben: «Meine Welt schmilzt». Im Beitrag für SRF plädiert sie dafür, die arktischen Bodenschätze im Boden zu lassen – und die Arktis in Ruhe.

Ist Chinas nordischer Traum von einer Arktischen Seidenstrasse vielleicht schon bald ausgeträumt? SRF-Korrespondentin Claudia Stahel glaubt das nicht. Chinas Führung plane auf sehr lange Frist und habe bei der Umsetzung ihrer Pläne immer wieder enorme Ausdauer sowie Lern- und Anpassungsfähigkeit bewiesen.

Es sei auffällig, wie zurückhaltend sich China neuerdings zur Arktischen Seidenstrasse äussere. In den Vordergrund würden jetzt die Projekte zur Erforschung des Klimawandels gestellt – von der Ausbeutung von Bodenschätzen sei kaum mehr die Rede.

Getreu der Losung des ehemaligen Staatsführers Deng Xiaoping, des Architekten der Wirtschaftssupermacht China: «Von Stein zu Stein tastend den Fluss überqueren» – leise und ohne Eile, auf Rückschläge vorbereitet, den nordischen Traum einer Arktischen Seidenstrasse immer fest im Blick.

#SRFglobal, 6.5.21, 22:25 Uhr

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