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Merz im zweiten Anlauf gewählt Zocken mit der staatspolitischen Verantwortung

Was für eine Aufregung im Bundestag: Die Wahl von Friedrich Merz galt als ausgemacht – wegen der Mehrheit der CDU/CSU und der SPD-Fraktion von bloss zwölf Stimmen liefen aber Wetten, ob es nicht doch Neinsager gebe. Statt der nötigen 316 Stimmen bekam Merz nur 310 – und scheiterte überraschend. Die Premiere sorgte für Krisensitzungen.   

In den Regierungsparteien legen sich gleich die Ersten bei erster Gelegenheit quer. Weshalb, bleibt ihr Geheimnis. Aber Merz hat mit seinem zugespitzten Wahlkampf viel Vertrauen verspielt. Er hat die Schuldenbremse verteidigt und sie sofort gelockert, als es ihm diente. Das nehmen ihm Leute aus CDU/CSU-Kreisen übel. Er hat mit Stimmen der AfD gepokert, was viele in der SPD erschütterte. Andere kritisieren den Koalitionsvertrag, oder hegen persönlichen Groll. Staatspolitische Verantwortung steht jedenfalls nicht im Zentrum des Manövers gegen Merz.         

Schlechte Vorzeichen für stabile Regierung

Die rot-schwarze Regierung steht unter enormem Erfolgsdruck: An allen Fronten harren Probleme der Lösung: Zu Hause muss die Wirtschaft angekurbelt, die illegale Migration bekämpft, die Verteidigung hochgefahren und ein Umgang mit der rechtsextremen AfD gefunden werden. Europa erwartet ein starkes Deutschland, die Ukraine mehr Unterstützung. Stets wird gewarnt, ohne Erfolge bis zur Bundestagswahl 2029 drohe das Ende der Demokratie; als ob die Zustimmung zur AfD ein grenzenloser Selbstläufer wäre. Das ist sie nicht, aber es sind aussergewöhnliche Zeiten. Jede vierte Stimme geht an die AfD, die der Verfassungsschutz gerade als gesichert rechtsextremistisch einstufte.

Nicht einmal angesichts dieser demokratischen Herausforderung können sich die Regierungsfraktionen zusammenraufen. Die Regierung kann und muss in vier Jahren nicht alles korrigieren, was jahrelang liegenblieb. Aber sie muss dem breiten Wehklagen etwas entgegensetzen. Stabilität, Vertraulichkeit und Verlässlichkeit sind die Zauberworte. Danach sieht es gerade nicht aus. 

Kühler Kopf für hitzigen Sprint

Merz hat die Kurve zwar gerade noch gekriegt, aber auf die Mehrheiten in seiner Regierung wird er sich nicht verlassen können. Auch das Umfeld ist herausfordernd: Die Koalition wird schlechtgeschrieben, bevor sie begonnen hat. Wahlumfragen liefern im Stakkato die Beliebtheitswerte der Parteien, marginale Verschiebungen werden zu Sensationen überhöht. Die AfD, die so schrecklich gerne andere jagt, wird dieser Regierung erst recht die Legitimation absprechen. Merz braucht einen kühlen Kopf.

Starke Zivilgesellschaft nötig

Doch die Demokratie retten wird die schwarz-rote Regierung eh nicht allein können. Wo die Demokratiefeinde erstarken, ist das Engagement der Bürgerinnen und Bürger fürs Gemeinwesen wichtiger denn je. Und in vielen ländlichen Gebieten braucht es bereits Mut, sich für die Demokratie einzusetzen. Auch das darf die Regierung bei ihrem riesigen Programm nicht aus den Augen verlieren.

Simone Fatzer

Deutschland-Korrespondentin

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Simone Fatzer arbeitet seit 1998 für Radio SRF, unter anderem als Moderatorin der Sendung «Echo der Zeit» und als Dossierverantwortliche für Deutschland. Seit September 2021 ist sie Korrespondentin in Berlin.

SRF 4 News, 6.5.2025, 17 Uhr

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