Mexikos neuer Präsident hat bei seinem Amtsantritt viel versprochen. Das Land soll unter seiner Führung gerechter, sicherer und weniger korrupt werden.
Nach einem halben Jahr ist davon aber noch wenig zu spüren. Die Wirtschaft schwächelt, die Kriminalität nimmt weiter zu und im Land mehren sich die kritischen Stimmen. Dennoch schwimmt Lopez Obrador noch immer auf einer Popularitätswelle. Wie lässt sich dies erklären?
Lopez Obrador verspricht viel. Aber wird er diese Versprechungen auch einlösen? Und warum muss ein Präsident täglich eine Pressekonferenz abhalten?
Prunk der Vorgänger am Pranger
Wer wissen will, wie die Durchschnittsbevölkerung zum neuen Präsidenten steht, geht am besten in den Stadtpark Chapultepec. Hinter riesigen Bäumen versteckt steht Los Pinos, die Residenz der mexikanischen Präsidenten.
AMLO, wie der Präsident genannt wird, lebt aber nicht hier. Er wohnt noch immer in seinem Haus im Süden der Stadt. Dafür hat er Los Pinos öffentlich zugänglich gemacht. Das Volk soll sehen können, in welchem Luxus seine Vorgänger gelebt hatten.
An Wochenende strömen Tausende nach Los Pinos. Alle wollen den überdimensionierten Kronleuchter in der Eingangshalle sehen, das Privatkino im Keller oder den Bunker für die Krisensitzungen mit den Generälen. «Los Pinos war für uns immer ein Mythos», erklärt eine junge Anwältin mit zwei kleinen Kindern. Ihr Mann blickt ungläubig in eines der leeren Zimmer im Obergeschoss: «Das Schlafzimmer des Präsidenten ist ja grösser als unsere gesamte Wohnung.»
Halber Lohn und Reisen in der Economy Class
In seinem Regierungsstil unterscheidet sich Andres Manuel Lopez Obrador deutlich von seinen Vorgängern: So verschmäht er nicht nur die Präsidentenresidenz, sondern auch die Fahrzeug- und Flugzeugflotte der Regierung. Er fliegt Touristenklasse und fährt in seinem privaten VW zu Regierungsgeschäften. Seinen Lohn und die Gehälter der Minister und Beamten hat er halbiert. Das kommt gut an beim Volk.
Andres Manuel räumt jetzt auf mit den Schweinereien der früheren Präsidenten!
Auch nach sechs Monaten im Amt erreicht der Präsident noch immer Zustimmungswerte von über 70 Prozent. «Andres Manuel ist ein wunderbarer Mensch und so bescheiden», beschreibt die junge Anwältin ihren Präsidenten. Sie ist mit ihren Kindern gekommen, um ihnen zu zeigen, «dass eine neue Zeit angebrochen ist. AMLO räumt jetzt auf mit den Schweinereien der früheren Präsidenten!»
Einfluss und Macht für die Armee
Intellektuelle, Fachleute und Journalisten hingegen gehen zunehmend auf Distanz zum neuen Präsidenten. Einige seiner eigenwilligen Entscheidungen befremden selbst ehemalige Weggefährten aus dem linken Lager. So setzt er im Kampf gegen die Drogenkriminalität – entgegen früherer Versprechen – auf die Armee. Ein General kommandiert die für den Drogenkrieg neu geschaffene Nationalgarde.
Die Armee soll aber auch den neuen internationalen Flughafen in Mexiko-Stadt bauen und diesen später auch betreiben. «Damit erhält das Militär wirtschaftliche Autonomie, und der Grundsatz der Unterordnung unter zivile Macht werde in Frage gestellt», befürchet Romero Campa, der Chefredaktor der kritischen Wochenzeitschrift Proceso. Organisationen aus der Zivilgesellschaft teilen seine Befürchtung. Im Parlament hingegen gab es kaum Widerstand.
Links oder neoliberal?
Für Stirnrunzeln sorgen auch AMLOS Entscheidungen im Sozialbereich. Derzeit verfolgt die Regierung einen harten Sparkurs, um die Steuern nicht erhöhen zu müssen. Gestrichen wurde unter anderem die staatliche Unterstützung von Kinderkrippen. Begründung: Korruption in der Verwaltung. «Statt die Korruption zu bekämpfen, wird ein Teil des Unterstützungsgeldes direkt an die Eltern ausbezahlt – das ist total neoliberal,» findet Romero Campa. Das passe überhaupt nicht zu einem linken Präsidenten.
Wenn der wirtschaftliche Aufschwung ausbleibt, wird die Regierung schon bald vor einem grossen Schuldenberg stehen.
Der Präsident habe ein tiefsitzendes Misstrauen gegen die Bürokratie, vermutet Campa. «Er setzt Bürokratie mit Korruption gleich und will deshalb nach Möglichkeit die Bürokratie umgehen.» Lopez Obrador schwäche damit aber vor allem die Institutionen des Staates und das sei besorgniserregend. «Ich vermute, AMLO hat nicht verstanden, dass es starke Institutionen braucht die sich gegenseitig kontrollieren, um Korruption einzudämmen.» Im Parlament fehle aber derzeit eine starke Opposition.
Dauerpräsenz auf den Fernsehschirmen
Skeptisch gegenüber dem Präsidenten ist auch José Reveles, der eine Anlaufstelle leitet für Angehörige der rund 40'000 Menschen, die in Mexiko gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurden. «AMLO verspricht viel. Aber wird er diese Versprechungen auch einlösen? Und warum muss ein Präsident täglich eine Pressekonferenz abhalten?»
Um sieben Uhr morgens, von Montag bis Freitag, spricht der Präsident im Palacio de Gobierno vor Journalisten und Fernsehkameras. Auch in Restaurants und Kaffeebars werden die Pressekonferenzen übertragen. Eine Stunde lang präsentiert «AMLO» seine Pläne und verteidigt Entscheidungen. Bisweilen gibt er den gütigen Landesvater, dann wieder den strengen Schulmeister und kanzelt schon mal eine Journalistin ab, wenn sie eine kritische Frage stellt.
Kritische Journalisten leben gefährlich
Kritiker verunglimpft AMLO häufig als «Fifis», als Schosshündchen der alten Elite. Vor allem Journalisten und Journalistinnen, die die Entscheidungen der Regierung in Frage stellen, bekommen den Zorn von «AMLOs» Anhängern zu spüren. Es wurden schon Privatadressen von Journalisten veröffentlicht, die dann auf der Strasse belästigt wurden. «Eine bedenkliche Entwicklung in einem Land, in dem so viele Journalisten ermordet werden», findet José Reveles. Vierzehn Medienschaffende wurden schon getötet seit dem Amtsantritt von Präsident Lopez Obrador.
In der Wirtschaft verunsichert die neue Regierung Unternehmer und Investoren. So machte «AMLO» beispielsweise die zaghafte Öffnung des Energiesektors wieder rückgängig. Der marode staatliche Ölkonzern Pemex soll im Heimatstaat des Präsidenten eine neue Raffinerie bauen. «Günstiger wäre es, die bestehenden Raffinerien zu modernisieren», ist der mexikanische Ökonom Dwight Dyer überzeugt, «denn diese funktionieren nur auf 30 Prozent Kapazität – wegen jahrelanger Vernachlässigung.»
Ist gut gemeint auch gut gemacht?
Abgesehen von der alten, konservativen Elite zweifelt kaum jemand an den guten Absichten, die Andres Manuel Lopez Obrador als Präsident verfolgt. «Dass er Armut, Kriminalität und Korruption bekämpfen will, glaube ich ihm», sagt Romero Campa, Chefredaktor des linken «Proceso», «aber trifft er wirklich die richtigen Entscheidungen um seine Ziele zu erreichen?» Ökonom Dyer befürchtet, dass AMLO mit seinen eigenwilligen Entscheidungen Investoren verunsichert: «Wenn der wirtschaftliche Aufschwung ausbleibt, wird die Regierung schon bald vor einem grossen Schuldenberg stehen.»
Derlei Bedenken werden von den Besucherinnen und Besuchern der Präsidentenresidenz Los Pinos weggewischt. «Es stimmt nicht, was die Fifis sagen. Der Wandel ist schon spürbar. Ohne AMLO wären wir nicht hier in diesen Räumen», sagt die junge Anwältin. Der Präsident könne nicht alles, was in den letzten Jahrzehnten falsch gelaufen sei, von einem Tag auf den anderen korrigieren. «Der Wandel kann nur gelingen, wenn wir alle den Präsidenten bei seiner Arbeit unterstützen!»