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Migration übers Mittelmeer Italien will Tunesien als Verbündeten für EU-Asylpolitik gewinnen

Die Europäische Union will Asylsuchende, die keine Chance auf Asyl haben, schnell in so genannt sichere Drittländer zurückführen können. Derzeit kommen Asylsuchende vor allem übers Mittelmeer nach Europa. Und auf dieser Fluchtroute gibt es nur einen Staat, der abgewiesene Asylsuchende zurücknehmen könnte: Tunesien.

Asylsuchende warten auf die Hilfe der spanischen Hilfsorganisation Open Arms.
Legende: Asylsuchende warten auf die Hilfe der spanischen Hilfsorganisation «Open Arms». KEYSTONE/AP Photo/Joan Mateu

Vor allem Italien arbeitet intensiv daran, Tunesien als Verbündeten für die neue europäische Asylpolitik zu gewinnen. Dabei versucht die italienische Regierung, Tunesien auch mit finanzieller Hilfe zu überzeugen.

Der Trumpf der EU

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni ist deshalb innerhalb von fünf Tagen gleich zweimal nach Tunesien gereist, um Präsident Kais Saied zu besuchen. Heute, bei ihrer zweiten Reise, wurde Meloni begleitet von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und vom niederländischen Premier Mark Rutte. Diese hochkarätige Delegation und die schnelle Rückkehr nach Tunis sollten Melonis Mission Gewicht und Profil verleihen.

Italien will, dass Tunesien bei der Umsetzung der neuen, restriktiveren EU-Migrationspolitik einen ganz wichtigen Part übernimmt: Tunesien soll seine Grenzen besser schützen, also im Süden weniger Migrantinnen und Migranten einreisen und in Norden weniger Richtung Europa weiterreisen lassen. Und Tunesien soll jene wieder zurücknehmen, welche die EU gemäss dem beschleunigten Verfahren schnell wieder verlassen müssen.

Tunesien ist nicht die Grenzpolizei der Europäer.
Autor: Kais Saied Präsident Tunesiens

Das sind die Wünsche der Europäer. Denen Tunesiens Präsident am Sonntag, schon vor dem Eintreffen der EU-Delegation, eine Absage erteilt hatte: Tunesien sei nicht die Grenzpolizei der Europäer.

Das aber war mit Sicherheit noch nicht das letzte Wort. Denn Brüssel hält, wie immer in solchen Fällen, einen Trumpf in der Hand: 900 Millionen Euro hat die EU-Delegation Tunesien in Aussicht gestellt. 150 Millionen überweist Brüssel sofort. Man kann davon ausgehen, dass der Rest dieser EU-Gelder nur dann fliesst, sollte Tunesien eben doch einen Teil des europäischen Grenzschutzes übernehmen.

Melonis Wahlversprechen und Tunesiens Hebel

Italien und die EU nehmen es dabei in Kauf, mit Präsident Saied einen Herrscher zu finanzieren und zu stützen, der gerade dabei ist, die letzten Reste des demokratischen Aufbruchs, des tunesischen Frühlings, zu beseitigen.

Und falls Tunesiens autoritärer Präsident in Zukunft wieder einmal Geld benötigen würde, müsste er nur für ein paar Wochen wieder mehr Asylsuchende durchlassen, um weitere Geldforderungen zu stellen.

Doch Giorgia Meloni dürfte sich davon nicht abschrecken lassen. Sie hat vor ihrer Wahl, also noch im vergangenen Herbst, versprochen, die Zahl der Asylsuchenden in Italien zu reduzieren. Dieses Versprechen hat sie bisher nicht eingehalten. Die Zahl der Asylsuchenden wächst seit Monaten stark. Darum steht die italienische Premierministerin unter Druck. Ihre Pendeldiplomatie nach Tunesien ist auch vor diesem innenpolitischen Hintergrund zu sehen.

SRF 4 News, 11.06.2023, 14:00 Uhr

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