Ein Routineauftrag war es, den Onur Albayrak von einem Kunden in seinem Fotostudio im osttürkischen Malatya erhielt. Der Fotograf solle Hochzeitsfotos von ihm und seiner Braut in einem Park machen, wünschte der Kunde, und die beiden Männer verabredeten einen Termin.
Schlägerei mit dem Bräutigam geht viral
Der Fototermin sei dann allerdings anders gelaufen als erwartet, erzählt Albayrak. «Als ich im Park ankam und die Braut sah, erkannte ich sofort, dass sie ein Kind war. 15 Jahre alt sei sie, antwortete man mir auf die Frage nach ihrem Alter. Da sagte ich zum Bräutigam, dass ich keine Kinderbräute fotografiere, drehte mich um und ging. Er lief hinter mir her, beschimpfte mich und hielt mich am Jackett fest – so kam es zu einer Schlägerei.»
Die Begegnung endete für den Bräutigam mit einer gebrochenen Nase. Das ist Onur Albayrak noch immer etwas peinlich, zumal die Schlägerei nun landesweit bekannt geworden ist.
Ich freue mich, dass ich die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit zumindest für ein paar Tage auf dieses Problem lenken konnte.
Bis heute weiss der 34-jährige Fotograf nicht, wer die Szene im Park beobachtet und in den sozialen Netzwerken verbreitet hat. Das Echo sei aber überwältigend, sagt Albayrak.
Tausende Briefe, Botschaften und Anrufe aus dem ganzen Land hat er bekommen, in denen ihn die Menschen zu seinem Handeln beglückwünschen. Mehrere Anwälte haben ihm kostenlose Vertretung angeboten, falls er Scherereien bekommt. Und eine alte Dame habe bei ihm geläutet, weil sie ihm die Hände küssen wollte, erzählt der Fotograf.
Plötzlich sprechen die Türken über Kinderehen
«Ich habe diese Hochzeit nicht verhindern können, aber ich bin froh, dass es so ein tolles Echo gegeben hat», sagt Albayrak. «Ich hätte nie gedacht, dass das so viel Aufsehen verursacht. Ich freue mich, dass ich die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit zumindest für ein paar Tage auf dieses Problem lenken konnte.»
Türkische Frauenverbände fordern schon lange die gesellschaftliche Ächtung von Kinderehen, die in der Türkei trotz eines gesetzlichen Heiratsalters von 18 Jahren noch immer verbreitet sind. Der beherzte Fotograf hat mit seiner Aktion nun in einer Woche mehr Öffentlichkeit für ihre Forderung geschaffen, als es ihnen sonst in jahrelanger Arbeit möglich ist.
Die Frauenrechtlerin Gülsun Kanat vom Istanbuler Frauenschutzverein Mor Cati ist begeistert. Der Einsatz von Albayrak sei ermutigend für die Frauenrechtsbewegung.
Hohe Dunkelziffer
Dass ein Mann öffentlich für die Rechte von jungen Mädchen eintrete – das zeige ihr, dass der Kampf der türkischen Frauenrechtlerinnen nicht aussichtlos sei. Und dass er dafür so viel öffentlichen Beifall bekommen habe, gebe neue Hoffnung und Tatkraft. Die könnten sie freilich auch brauchen, fügt Kanat hinzu, denn die Zahl der Kinderehen steige.
Nach offiziellen Zahlen ist das anders. Nach Angaben des türkischen Statistikamtes fiel die Zahl der minderjährigen Bräute in den letzten fünf Jahren von sechs Prozent auf vier Prozent aller Eheschliessungen. Doch diese Statistik zählt nur die amtlichen Ehen, die von Standesbeamten geschlossen werden und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Demnach können minderjährige Mädchen in Ausnahmefällen mit 17 Jahren heiraten, wenn die Eltern zustimmen, nur mit richterlicher Genehmigung auch mit 16 Jahren.
Die allermeisten Kinderehen werden aber von der Statistik nicht erfasst, weil sie nicht amtlich geschlossen werden, sondern nur von einem Imam, einem islamischen Geistlichen. Die türkische Opposition schätzt diese Dunkelziffer auf ein Drittel aller Ehen im Land – das geht aus einem aktuellen Antrag der Opposition auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hervor.
Kein Problem der Politik, sondern der Gesellschaft
Das Parlament könne da aber nicht viel ausrichten, meint Frauenrechtlerin Kanat. Die türkischen Gesetze seien in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert worden und heute eigentlich recht gut. Das Problem liege bei der Umsetzung. So würden die Gesetze zum Schutz von Frauenrechten von den Gerichten nicht ausgeschöpft und von den Behörden oft nicht angewandt.
Das liege gar nicht so sehr an der islamisch orientierten Regierung der Türkei, sagt die Frauenrechtlerin, denn das sei unter vorherigen Regierungen auch nicht anders gewesen. Das Problem sieht sie vielmehr in der Vorherrschaft des Mannes in der türkischen Gesellschaft, gleich welche Partei gerade an der Regierung ist.
Coiffeure sollen keine Kinderbräute mehr zurechtmachen
Genau deshalb findet sie die Aktion des Fotografen und das positive Echo in der Gesellschaft so ermutigend – denn nur ein gesellschaftliches Umdenken könne bewirken, dass die Gesetze auch angewandt werden.
Onur Albayrak will sich weiterhin dafür engagieren. «Ich werde weiter gegen diesen Missbrauch eintreten, und ich appelliere an alle im Hochzeitssektor, das auch so zu machen. Wenn Geschäfte keine Brautkleider mehr für kleine Mädchen verkaufen, wenn Friseure sich weigern, minderjährige Bräute herzurichten, wenn Hotels keine Räume mehr an solche Hochzeiten vermieten – das würde die Leute aufrütteln und ihnen zeigen, dass Kinderehen nicht in Ordnung sind.»