Die katholische Kirche hat kaum ihre erste Bischofskonferenz zum sexuellen Missbrauch von Kindern abgeschlossen, da kommt sie auch von Seiten weltlicher Gerichte immer stärker unter Druck. Dabei befasst sich die Justiz nicht nur mit den Tätern, sondern auch mit dem Schweigen der katholischen Kirche bei Missbrauchsfällen.
Jetzt hat das Strafgericht in Lyon den Erzbischof Philippe Barbarin wegen Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen zu sechs Monaten Gefängnis bedingt verurteilt.
Opfervereinigung hatte geklagt
Der Prozess gegen den Kardinal sowie fünf ehemalige Mitarbeiter ist in der französischen Justizgeschichte eine Ausnahme. Geklagt hatte nicht die Staatsanwaltschaft, denn diese hatte das Verfahren vor drei Jahren wegen mutmasslicher Verjährung eingestellt.
Klägerin war die Vereinigung von Opfern eines Priesters, der sexuellen Missbrauch in rund 80 Fällen eingestanden, aber dafür noch nicht vor Gericht gestanden hat. Das erklärte Ziel der Opfer war, das Schweigen der katholischen Kirche über Missbrauchsfälle zu brechen.
Das ist ihnen während des Prozesses gelungen. Die Aussagen der Opfer lösten im Gerichtssaal Betroffenheit aus. Eines berichtete, dass selbst die eigenen Eltern nicht glauben wollten, dass der beliebte Priester es sexuell missbraucht hatte. Ein anderer Zeuge sagte vor Gericht, er habe seiner Ehefrau nur wenige Stunden zuvor vom Missbrauch durch den Priester erzählt.
Barbarin wusste vom Missbrauch, tat aber nichts
Die Opfer warfen Kardinal Barbarin vor, er habe spätestens seit 2010 von den Missbrauchsvorwürfen gewusst und nicht gehandelt. Der Kardinal selber bestreitet dies: 2010 habe der fehlbare Priester zwar Missbrauchsfälle eingestanden. Zugleich habe er beteuert, seit 1990 sei nichts mehr passiert.
Im guten Glauben, die Taten seien verjährt, habe er darum auf Sanktionen verzichtet, so die Dartstellung Barbarins. Erst Ende 2015 habe er von einem Opfer Konkretes erfahren – und dann umgehend gehandelt und dem Pfarrer die Erlaubnis zur Ausübung der Seelsorge entzogen.
Staatsanwaltschaft glaubte einflussreichem Kardinal
Mit dieser Darstellung hatte der einflussreiche Kardinal von Lyon die Staatsanwaltschaft überzeugt, woraufhin sie das Verfahren einstellte und darum am Ende der Verhandlungen keinen Strafantrag stellte – also einen Freispruch verlangte.
Die Verteidigung des Kardinals zeigte sich durch die Aussagen der Zeugen zwar erschüttert, plädierte dennoch auf Freispruch. So sei der Vorwurf der Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen auf jeden Fall verjährt, denn es gehe nicht um Gefühle, sondern um Recht, argumentierten sie.
Barbarin will das Urteil anfechten
Doch das Gericht entschied nun anders. Es bestätigte damit den Kurs der französischen Justiz, dass sie bei Missbrauchsfällen von der Kirchenleitung mehr Kooperation verlangt. Bereits im vergangenen November hat ein Gericht den emeritierten Bischof von Orléans verurteilt, weil er einen pädophilen Priester nicht angezeigt hatte.
Kardinal Barbarin ist nicht der erste – aber er ist der höchste Kirchenführer Frankreichs, der bisher wegen Vertuschung von Missbrauchsfällen verurteilt worden ist. Er hat bereits angekündigt, das Urteil an die nächste Instanz weiterziehen zu wollen.