Wilders war schon Rechtspopulist, als Björn Höcke noch Geschichte unterrichtete und Herbert Kickl Reden für Jörg Haider schrieb. Mit seiner Islam- und Migrationskritik lotete er die Grenzen des Sagbaren aus. Heute hallen seine Worte quer über den Kontinent wider.
Jahrelang trieb Wilders das politische Establishment vor sich her. 2023 holte sich seine Partei den Wahlsieg – und zog in die Regierung ein. Nun sollte der grosse Coup folgen.
Wunsch nach neuer Sachlichkeit?
Zu Beginn des Wahlkampfs träumte Wilders gar von der absoluten Mehrheit. Stattdessen muss die Partei für Freiheit deutliche Verluste hinnehmen. Alle grossen Parteien lehnen eine Zusammenarbeit mit Wilders ab.
SRF-Korrespondent Charles Liebherr spricht von einem bemerkenswert sachlichen Wahlkampf. Und an der Urne hätten die Menschen ein Zeichen gesetzt: «Sie wünschen sich eine Rückkehr zu einer politischen Kultur, die auf breite Koalitionen und nachhaltige Kompromisse setzt.»
Sehnen sich die Menschen wieder nach Sachpolitik? Oder anders gefragt: Lohnt sich Anstand in der Politik wieder? «Das wäre schön», sagt Tarek Abou-Chadi, Professor für Europäische Politik an der Oxford Universität. Tatsächlich habe es in den Niederlanden aber seit den Nullerjahren einen Rechtsruck gegeben.
Der Forscher warnt: «Freundlich und nett» könne auch nach hinten losgehen. «Dadurch können Politiker mit extrem rechten Positionen normalisiert werden.» Und: Wilders habe bei den Wahlen zwar verloren. Das «radikale rechte Lager» sei aber gleich stark geblieben.
Auch in anderen europäischen Ländern stehen die etablierten Parteien vor der Frage, wie man mit Rechtsaussen umgehen soll. In Deutschland haben sie eine «Brandmauer» gegen die AfD errichtet. Kommt auch nur leiser Verdacht auf, dass jemand daran rüttelt, ist Feuer im Dach.
Gibt es aber eine Art Wilders-Effekt? Verlieren die Parteien an Attraktivität, wenn man sie einbindet? Bereits ist von Wilders Entzauberung die Rede. Die These: Regieren die Rechtspopulisten mit, scheitern sie an sich selbst.
Kurzfristig könne das durchaus ein paar Prozentpunkte kosten, sagt Abou-Chadi. Aber: «Mittelfristig stärkt man ihre Ideologie. Dies kann dazu führen, dass sich Parteien formieren, die noch extremer sind.»
Wenn diese Parteien an der Macht sind, werden sie diese Macht dazu nutzen, um Stellschrauben der liberalen Demokratie zu verändern.
Letztlich würde sich das politische System nur noch weiter nach rechts verschieben, so der Politikwissenschaftler. «Man normalisiert die Politik dieser Parteien, man entzaubert sie nicht.»
Debatte um «rote Linien» in Deutschland
In Deutschland plädiert der frühere Generalsekretär der CDU dafür, über «die Politik der roten Linien» gegenüber der AfD nachzudenken. Die Stigmatisierung helfe der Partei nämlich nur. Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) legte im «Stern» nach: «Entzauberung gelingt nicht durch Boykott.»
Eine Zauberformel im Umgang mit der radikalen Rechten gebe es nicht, räumt Abou-Chadi ein. «Wenn sie aber einmal an der Macht sind, werden sie diese Macht dazu nutzen, um Stellschrauben der liberalen Demokratie zu ihren Gunsten zu verändern.»
Sein Rat an die etablierten Parteien: Statt der radikalen Rechten hinterherzurennen, solle man die Herausforderungen selbst benennen und Lösungen skizzieren. «Sonst sendet man das Signal aus, dass die Parteien mit dem, was sie fordern, Recht haben und die Sorgen der besorgten Bürger ernst nehmen.»
