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Modi bei Selenski Indien als «Freund» – für alle

Herzliche Gesten gab es vom indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi zuhauf. Er umarmte seinen Gastgeber, den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, wie einen engen Freund und legte ihm immer wieder den Arm um die Schulter.

Später, vor den Medien, rief Modi die Ukraine und Russland zu Verhandlungen auf, anerbot sich als «Freund» – und betonte, er unterstütze «die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität». Es war, als wollte er Selenski nicht bloss mit Worten beistehen, sondern ihm auch die gleiche körperliche Nähe zuteilwerden lassen wie Anfang Juli dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Beim Besuch damals in Moskau hatte Modi Putin herzlich umarmt – wenige Stunden nach einem russischen Raketenangriff gegen ein Kinderkrankenhaus in Kiew. Selenski reagierte umgehend mit heftiger Kritik: Er sei enttäuscht, dass Modi als «Anführer der grössten Demokratie der Welt den blutigsten Verbrecher der Welt» umarme. Mit seinem Auftritt in Kiew dürfte Modi seinen Ruf in der Ukraine nun etwas verbessert haben. An der Positionierung Indiens hat sich aber letztlich wenig geändert.

Kein Vermittlungserfolg in Sicht

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Indien nach wie vor nicht verurteilt. Und im Ringen zwischen dem russisch-chinesischen Machtblock einerseits und den USA und ihren Verbündeten anderseits pflegt Indien beidseitig gute Beziehungen. Es gibt es wenig Anzeichen, dass Indien aus dieser Position heraus tatsächlich ein Vermittlungserfolg gelingen könnte. Modi hat keinen konkreten Friedensplan vorgestellt, und Russland liess in den vergangenen Tagen verlauten, dass es Verhandlungen mit der Ukraine ausschliesse.

Modis wichtigster Besuchsgrund war wohl das Ausbalancieren. Dabei geht es ihm längst nicht nur um den Krieg in der Ukraine. Er will es sich mit Selenski auch deshalb nicht verscherzen, weil er dessen Unterstützer, allen voran die USA, als Gegengewicht zu China sieht. Zwar macht Indien mit China gute Geschäfte. Zugleich liegt es mit China aber seit Jahrzehnten in einem Grenzstreit und beargwöhnt Chinas militärische Präsenz im Indischen Ozean. Deshalb hat sich Indien im Quad-Verbund mit den USA, Japan und Australien zusammengeschlossen, führt mit den USA immer wieder Militärübungen durch.

Modi will es sich mit niemandem verscherzen

Gleichzeitig ist Modi an guten Beziehungen zu Russland interessiert. Die beiden Länder verbindet eine jahrzehntelange Partnerschaft. Indien bezieht etwa 60 Prozent seiner Rüstungsgüter und 40 Prozent seines Erdöls aus Russland. Modis Zugang sowohl zu Putin als auch zu Selenski, seine einzigartige Position zwischen den grossen Machtblöcken machen ihn zwar zu einem möglichen Vermittler im Ukraine-Krieg. Doch vorerst bleibt der Eindruck, dass er Indien mit seinem Besuch vor allem aufs Neue einmitten wollte: zwischen den Kriegsparteien, zwischen den grossen Machtblöcken – um es sich mit niemandem zu verscherzen.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

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SRF 4 News, 23.08.2024, 15:00 Uhr

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