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Mord an Regierungsmitarbeitern «Mexiko ist in einer Phase der Gewaltexplosion»

Mitten auf einer belebten Strasse in Mexiko-Stadt haben vor einigen Tagen Unbekannte das Feuer eröffnet: Ziel war ein Auto, in dem eine Assistentin und ein Berater der Bürgermeisterin sassen. Beide Personen wurden getötet. Es ist eine Tat, die aufhorchen lässt. In vielen Regionen gehören Schiessereien, Erpressung und Drohungen zum Alltag – meist sind Drogenkartelle im Spiel. Doch wie ordnet sich dieser Doppelmord ein? Die Journalistin Sandra Weiss gibt Antworten.

Sandra Weiss

Journalistin in Mexiko

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Die gebürtige Deutsche lebt und arbeitet seit 1999 als Journalistin in Lateinamerika. Sie berichtet von dort aus für diverse deutschsprachige Medien.

SRF: Die gezielte Tötung von zwei engen Mitarbeitenden der Bürgermeisterin – ist das eine neue Dimension der Gewalt?                

Sandra Weiss: Das war keine spontane, sondern eine gezielte Aktion von Profikillern. Solche politischen Morde sind in der Regel Botschaften, die die organisierte Kriminalität oder auch andere Akteure an die Regierung aussenden will. Das ist in Mexiko nichts Neues. Noch weiss man aber nicht, wer dahinter steckt.      

Mexiko-Stadt wurde oft als Gegenbeispiel von dem dargestellt, was im Rest des Landes passiert – Mexiko-Stadt, quasi der sichere Hafen. Dieser Mord hat uns gezeigt, dass das eine Illusion ist.

Welches sind die Vermutungen?

Es kursieren zahlreiche Spekulationen. Eine besagt, die beiden Mitarbeitenden der Bürgermeisterin hätten zu sicherheitsrelevanten Themen recherchiert und Verbindungen zur Hauptstadtregierung aufgedeckt – also ein möglicher Verrat von innen. Andere gehen von einem Racheakt aus: als Vergeltung für die jüngsten Festnahmen hochrangiger Anführer diverser Gruppen. Zudem steht im Raum, dass aktuell mehrere Gruppierungen um die Vorherrschaft in Mexiko-Stadt kämpfen – und der Doppelmord in dem Kontext zu sehen ist.

Wir sind weit davon entfernt, dass die Regierung irgendwas im Griff hätte.

Klar ist: Mexiko-Stadt wurde oft als Gegenbeispiel von dem dargestellt, was im Rest des Landes passiert – Mexiko-Stadt, quasi der sichere Hafen. Dieser Mord hat uns gezeigt, dass das eine Illusion ist.

Die Regierung Mexikos sagt, es sei ihr gelungen, die Zahl der Morde zu reduzieren. Wollen die Kartelle mitteilen, dass die Kriminalitätsbekämpfung nichts bringt?

Das ist schwer zu sagen. Der Mord geschah just zu dem Zeitpunkt, als die Präsidentin an einer Pressekonferenz jene Zahlen präsentierte, die den Rückgang der Mordrate belegen sollen. Ob das ein Zufall war oder eine gezielte Botschaft, lässt sich nicht eindeutig sagen. Bei den Statistiken muss man aber vorsichtig sein. Die Zahl der Morde mag tatsächlich gesunken sein, doch andere Delikte wie das Verschwindenlassen, Entführungen und Schutzgelderpressung nehmen massiv zu. Die Gewalt wandelt sich einfach in neue Formen. Wir sind weit davon entfernt, dass die Regierung irgendwas im Griff hätte.

Wie geht die Regierung vor?

Mit einer neuen Strategie: Statt dem Militär soll nun ein Polizist, Sicherheitsminister Omar García Harfuch, die organisierte Kriminalität bekämpfen. Er war schon unter Präsidentin Sheinbaum Polizeichef in Mexiko-Stadt. Die letzten 10-15 Jahre hatte das Militär die Oberhand bei der Bekämpfung der Kriminalität – und hat krass versagt. Aber das Militär wehrt sich, die Macht abzugeben.    

Immer, wenn sich in der kriminellen Welt etwas verschiebt, folgt eine Phase der Gewaltexplosion. Genau dort stehen wir jetzt.

Greift Sheinbaums nationale Sicherheitsstrategie denn schon?

Noch nicht – sie hängt im Kongress fest. Dennoch wurde gehandelt: García Harfuch ging, auch auf Druck der USA, gezielt gegen das Sinaloa-Kartell vor, das federführend ist beim Fentanyl-Export. Labore wurden zerstört, Chemikalien beschlagnahmt, mehrere Bosse festgenommen und an die USA ausgeliefert. Das hat das Kartell geschwächt – gleichzeitig aber Opportunitäten für andere Kartelle geschaffen. Das führt zu Verwerfungen und Gewalt. Und immer, wenn sich in der kriminellen Welt etwas verschiebt, folgt eine Phase der Gewaltexplosion. Genau dort stehen wir jetzt.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

Echo der Zeit, 24.5.2025, 18 Uhr ; 

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