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Münchner Sicherheitskonferenz Hoffnung anstelle einer nüchternen Lagebeurteilung

Drei Tage lang trafen sich rund vierzig Staats- und Regierungschefs, um die hundert Minister, dazu Parlamentarier, Militär- und Geheimdienstchefs auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Es gab intensive Diskussionen, aber auch scharfe Konfrontationen. Die Haupterkenntnis: Die weltpolitische Lage ist düster. Optimismus herrscht nirgends.

Es ging in zahllosen Reden und Gesprächen in München vor allem darum, Zweifel zu zerstreuen. Die Ukraine wollte Zweifel an ihrem Siegeswillen zerstreuen. Der Westen musste Zweifel an seiner Bereitschaft zerstreuen, das von Russland bedrängte Opfer so wirksam und so lange wie nötig zu unterstützen.

Und die US-Regierung versuchte Bedenken zu zerstreuen, die amerikanische Unterstützung werde spätestens mit den nächsten Wahlen enden. Genau deshalb beteuerten auch führende republikanische Politiker in München, in der Ukraine-Frage herrsche in Washington ein parteiübergreifender Konsens. Das ist eher Wunsch als Wirklichkeit.

Russland hat viel Zeit 

Es zeichnet sich ab: Der Ukraine läuft die Zeit davon. Russland hingegen hat unendlich viel Zeit. Und Russland setzt auf die Erschöpfung des Gegners. Je länger der Konflikt dauert, umso entscheidender werden die reinen Zahlenverhältnisse – Bevölkerungszahl, Truppenstärke, Waffenarsenale. Deshalb braucht die Ukraine nicht bloss noch mehr westliche Rückenstärkung, sondern vor allem: Sie braucht sie rasch. Eigentlich sofort. Doch das klappt momentan ungenügend. Mal fehlt der politische Wille, mal schlicht das Material: Panzer, Artillerie, Raketen, Munition, Ersatzteile.

Offenkundig ist nach dem Münchner Spitzentreffen: Die Stimmung ist weitaus weniger optimistisch als es viele Entscheidungsträger in mitunter recht vollmundigen Erklärungen nach aussen darstellen. Einigkeit, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen werden floskelhaft beschworen.

Hoffnung ersetzt eine nüchterne Lagebeurteilung. In der Realität sind die Zweifel gross. Nicht daran, dass es richtig und nötig ist, den Ukrainern zu ihrem Recht zu verhelfen. Nicht daran, dass die Welt das aggressive Putin-Russland in die Schranken weisen muss. Hingegen herrscht Skepsis, ob man die Efforts nötigenfalls noch jahrelang durchhält, ja ausweiten kann. Politik ist, gerade in Demokratien, ein volatiles Geschäft: Da steht eine Wahl bevor. Dort signalisieren Meinungsumfragen Wankelmut in der Bevölkerung. Und wiederum woanders häufen sich Proteste gegen den Regierungskurs.

China ist pro-russisch neutral

Die Rufe nach einem Waffenstillstand, nach einem Frieden werden kaum in Russland, jedoch im Westen lauter. Bei manchen auch nach einem Frieden um jeden Preis für die Ukraine. Wenn nun ausgerechnet China eine Friedensinitiative ankündigt, ist das zwar löblich, aber zugleich problematisch. Peking bezeichnet sich im Ukrainekonflikt zwar als neutral. Tatsächlich ist es aber stark pro-russisch neutral. Und bis jetzt wird die russische Aggression mit keinem Wort als solche bezeichnet, geschweige denn verurteilt.

Über all das wurde in München viel gesprochen. Bloss offen eingestanden wurden die Probleme kaum. Unangenehme Wahrheiten und unsichere Perspektiven wurden, zumindest nach aussen, kleingeredet oder am liebsten ganz ausgeblendet. Die Ukraine hat den Krieg keineswegs verloren. Sie hat ihn aber auch noch längst nicht gewonnen. Und allein schafft sie es niemals.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit vom 19.02.2023, 18 Uhr

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