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Mutante B.1.617 in der Schweiz Wie gefährlich ist die indische Virus-Variante?

Seit Monaten sorgen Corona-Varianten für Aufsehen. Manche sind ansteckender, andere schmälern den Effekt von Impfstoffen. Die in Indien entdeckte Mutante B.1.617 hat eventuell beide Eigenschaften. Und: Sie ist bereits in der Schweiz.

Worum geht es? In Indien nehmen derzeit die Infektionszahlen so stark zu wie in keinem anderen Land der Welt. Besonderes Augenmerk liegt dabei bei der in Indien neu entdeckten Variante B.1.617, die sich in dem Land rasch ausbreitet und bereits in Europa angekommen ist.

Was ist speziell an B.1.617? Bei B.1.617 handelt es sich um eine sogenannte «Doppelmutante», denn die Variante weist gleich zwei Veränderungen an einem Oberflächenprotein auf. Diese Mutationen sind jeweils für sich betrachtet bereits von anderen unter Beobachtung stehenden Varianten bekannt: von der Mutation L452R, die auch bei der kalifornischen Variante vorkommt, sowie der Mutation E484K, beziehungsweise E484Q, die man von den Mutanten aus Südafrika und Brasilien kennt. Bei B.1.617 treten diese Mutationen jedoch zusammen in einer Variante auf.

Die indische Variante ist seit Ende März in der Schweiz

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Tanja Stadler.
Legende: SRF

Die ETH-Professorin Tanja Stadler und ihr Team sind im Rahmen der genomischen Überwachung auf den ersten Fall der indischen Variante B.1.617 in der Schweiz gestossen. Wie sie gegenüber SRF erklärt, sei der Fall Ende März im Kanton Solothurn aufgetaucht.

Das sei beunruhigend, da die Variante die Immunantwort der Impfung abschwächen könnte. Aber man müsse deswegen nicht mit dem Schlimmsten rechnen, so Stadler. Sie verweist auf die südafrikanische und brasilianische Variante, wo die Wissenschaft ähnlich besorgt war, die sich aber in der Schweiz nicht im grossen Stil verbreitet haben.

Sie fände es dennoch sinnvoll, wenn die Schweiz Indien auf die Risikoliste nehmen würde, so Stadler weiter.

Was bedeutet das für unser Immunsystem? Zwei der genetischen Veränderungen von B.1.617 deuten darauf hin, dass die Variante unempfindlicher gegenüber Antikörpern sein könnte, dass sich also die vorhandenen Antikörper schlechter an B.1.617 anheften können. Verantwortlich sind zwei Mutationen, die den Aufbau des Stachelproteins leicht verändern, mit dem das Virus an menschliche Zellen andockt, wie SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis erklärt.

Wie gut schützt eine Impfung gegen B.1.617? Möglicherweise könnten Geimpfte und Genesene vor einer Ansteckung mit dieser Variante weniger gut geschützt sein, erklärt Daniel Theis. Das bedeutet, dass das Risiko, trotz Impfschutz krank zu werden, allenfalls erhöht ist. Fachleute gehen aber davon aus, dass bei einer allfälligen Erkrankung diese mild verläuft und die Impfung so trotzdem noch vor Spitalaufenthalten schützt. Eine Virusvariante, die den Schutz komplett umgehen könnte, sei bis jetzt noch nicht bekannt, so Theis. Ein solches Szenario sei auch eher unwahrscheinlich, die Impfung (oder Genesung) werde kaum auf einen Schlag gleich komplett ausgehebelt werden.

Wie schätzt das BAG die Variante B.1.617 ein? Gemäss Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) beobachtet man derzeit die Lage eng: «Es gibt in Indien eine neue Virusvariante, die potenziell immun-invasiv ist.» Man wisse darüber aber im Moment noch zu wenig, um bereits Massnahmen zu evaluieren. Als Massnahme stehe etwa ein Einreiseverbot aus Indien zur Diskussion. Weiter teilte das BAG mit, Indien sei bereits auf der Liste des Staatssekretariats für Migration (Sem). Das bedeute, dass nur Schweizer Bürgerinnen oder Bürger oder Personen mit Aufenthaltstitel aus Indien einreisen dürften.

Wie stufen andere Fachexperten B.1.617 ein? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Robert Koch-Institut (RKI) bewerten die Variante B.1.617 derzeit ebenfalls zurückhaltend. B.1.617 stehe unter Beobachtung und gilt als «Variant of Interest». Für eine Einstufung als «besorgniserregend» fehle bislang «die entsprechende Evidenz», verlautete das RKI.

In Europa gibt es noch nicht viele Daten zur indischen Variante. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, sagt, man könne daher noch keinen verlässlichen Trend ableiten. Er glaube aber nicht, dass B.1.617 mehr Aufmerksamkeit verdiene als andere Varianten. Auch der deutsche Star-Virologe Christian Drosten hatte die indische Variante Ende März nicht als Grund zur Beunruhigung gesehen.

Wann gilt eine Variante als «besorgniserregend»? Als besorgniserregend gilt eine Variante, wenn bekannt ist, dass sie sich leichter ausbreitet, schwerere Krankheiten verursacht, dem Immunsystem entgeht, das klinische Erscheinungsbild verändert oder die Wirksamkeit der bekannten Instrumente verringert, wie eine WHO-Sprecherin erläuterte.

Welche Varianten gelten bereits als «besorgniserregend»? Bei den in Südafrika (B.1.351) und Brasilien (P.1) entdeckten Varianten wurden ähnliche Veränderungen festgestellt. Beide Varianten hat die WHO als besorgniserregend eingestuft – als sogenannte «Variant of Concern». Das gilt auch für die sehr ansteckende Mutante B.1.1.7., die Ende 2020 in Grossbritannien entdeckt wurde.

Wie verbreitet ist die indische Variante? In einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung des indischen Gesundheitsministeriums hiess es, die Variante B.1.617 sei inzwischen in Ländern wie Deutschland, Australien, Belgien, Grossbritannien, den USA oder Singapur zu finden. Am Samstag wurde nun auch ein erster Fall in der Schweiz offiziell bestätigt.

SRF 4 News, 24.04.2021, 13.30 Uhr ; 

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