Darum geht es: Am Sonntag war in der osttürkischen Millionenstadt Van der prokurdische Politiker Abdullah Zeydan zum Bürgermeister gewählt worden – mit 55 Prozent der Stimmen. Doch ihm wurde die Ernennungsurkunde verweigert. Die lokale Wahlbehörde begründete dies damit, dass Zeydan vorbestraft sei und darum nicht hätte zur Wahl antreten dürfen. Daraufhin kam es zu massiven Protesten – woraufhin wiederum die oberste Wahlbehörde der Türkei den Entscheid gegen Zeydan rückgängig machte. Sie begründete ihre Position damit, dass Zeydan schliesslich schon vor Wochen zur Wahl zugelassen worden war.
Der Hintergrund: Statt Zeydan wäre der zweitplatzierte Kandidat Bürgermeister von Van geworden – wenn es nach der lokalen Behörde gegangen wäre. Dieser gehört zur AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Der AKP-Kandidat erreichte bei der Wahl am Sonntag rund 27 Prozent der Stimmen. Das gescheiterte Manöver erinnert an die Vorgänge nach der Kommunalwahl von 2019: Damals waren 65 Politiker der prokurdischen HDP zu Bürgermeistern gewählt worden – doch die meisten von ihnen wurden von der Regierung in Ankara wegen Terrorvorwürfen des Amtes enthoben und durch regierungstreue Zwangsverwalter ersetzt.
Die Proteste: Nach der Verweigerung der Wahl Zeydans durch die lokale Wahlbehörde kam es in Van, aber auch in zahlreichen anderen türkischen Städten am Sonntag zu teils gewalttätigen Protesten. Und es gibt von Seiten der DEM Vorwürfe der Wahlmanipulation. So vermutet die Partei, dass es in mehreren Provinzen im Südosten der Türkei zu Wahlfälschungen gekommen ist – dort, wo die prokurdische Partei hinter Erdogans AKP zu liegen kam. Darum will die DEM in Bitlis, Sirnak und Kars eine erneute Zählung der Wählerstimmen veranlassen.
Wenn Erdogan die Kurden jetzt lokal regieren lässt, ergibt sich neuer Spielraum in der Kurdenfrage.
Die Solidarität von der CHP: Eigentliche Wahlsiegerin bei den Kommunalwahlen vom Sonntag sind aber weder die DEM noch die AKP, sondern die oppositionelle Republikanische Volkspartei CHP. «Sie betont ihre Solidarität mit der Kurdenpartei DEM», sagt der in Istanbul lebende Journalist Thomas Seibert. Die CHP schickte gleich eine Delegation nach Van, um die dortige DEM zu unterstützen. Hintergrund: Um den angestrebten Machtwechsel in Ankara zu schaffen, ist die CHP auf die Unterstützung der DEM angewiesen. Nur so wird sie dereinst Erdogans AKP an der Regierung ablösen können.
Neue Situation für die AKP: Nach der landesweiten Wahlschlappe steht die AKP von Präsident Erdogan vor dem Scheideweg: Wenn sie sich weiter gegen die kurdischen Parteien stellt, wird sie ihre Macht kaum halten können. Andererseits: «Wenn Erdogan die Kurden jetzt lokal regieren lässt, ergibt sich durchaus neuer Spielraum in der Kurdenfrage», sagt Journalist Seibert. So gebe es Spekulationen, dass Erdogan jetzt auf die Kurden zugehen könnte, weil seine AKP sonst bald die Regierungsmacht in Ankara verlieren könnte.