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Nach der Ibiza-Affäre «In der FPÖ herrscht ein Gefühl von ‹jetzt erst recht›»

In einer Woche wählt Österreich ein neues Parlament – eine Folge der sogenannten Ibiza-Affäre. Der damalige Vizekanzler, FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, musste wegen eines heimlich gefilmten Videos zurücktreten.

Die Regierung aus FPÖ und ÖVP zerbrach. Doch wie geht es nach den Wahlen weiter? Hans-Peter Siebenhaar vom «Handelsblatt» glaubt, dass die beiden Parteien eine gemeinsame Zukunft haben werden.

Hans-Peter Siebenhaar

Deutscher Journalist

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Der Journalist Hans-Peter Siebenhaar arbeitet in Wien für das deutsche «Handelsblatt» als Korrespondent für Österreich und Osteuropa. Dort ist er Vorsteher des Verbandes der ausländischen Korrespondenten.

SRF News: Wird die Ibiza-Affäre der FPÖ bei den Wahlen schaden?

Hans-Peter Siebenhaar: Die Ibiza-Affäre hat der FPÖ auf jeden Fall geschadet. Nach einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage kommt die FPÖ derzeit auf 20 Prozent. Das wäre im Vergleich zur Nationalratswahl 2017 ein Minus von sechs Prozent. Das ist eine ganz ordentliche Zahl. Aber die politischen Gegner hatten ja gehofft, dass die FPÖ nach diesem Skandal, der zur Abwahl der Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz führte, noch viel stärker verlieren würde. Und diese Hoffnungen sind bislang nicht in Erfüllung gegangen.

Spürt man bei der FPÖ im Wahlkampf Scham ob dieser Affäre?

Nein. Die FPÖ präsentiert sich im Wahlkampf äusserst selbstbewusst. Auf ihrem Parteitag in Graz letzten Samstag hat sie den Nachfolger von Heinz-Christian Strache gewählt, Norbert Hofer. Er war in der Vorgängerregierung Verkehrsminister. Er und Herbert Kickl, der frühere Innenminister, treten als selbst- und sendungsbewusstes Duo auf. Und auch in der Anhängerschaft herrscht nach der Ibiza-Affäre eher ein Gefühl von «jetzt erst recht» als von Scham. Rote Linien dürfen überschritten werden, die Toleranz ist relativ gross.

Aber Strache spielt im aktuellen Wahlkampf keine Rolle mehr?

Nein, er ist sozusagen politisch stillgelegt, er hat kein Amt mehr in der FPÖ, und selbst seine Facebook-Aktivitäten werden nun von der Partei kontrolliert. Er muss warten, bis über die Angelegenheit Gras gewachsen ist. Seine Stellvertretung übernimmt seine junge Ehefrau Philippa, die nach jetzigem Stand einen sicheren Listenplatz hat, um in den Nationalrat einzuziehen.

An der Spitze der FPÖ steht nun Hofer. Kann er Strache ersetzen?

Hofer ist ein ganz anderer Charakter. Er hat nicht den Geruch der Strasse; er gilt als das sogenannte freundliche Gesicht der FPÖ. Meiner Wahrnehmung nach versucht er, Wähler von der politischen Mitte, aus dem konservativen Lager herüber zu ziehen in die FPÖ. Hofer ist ein geschickter Stratege.

Kurz hat alle Trümpfe in der Hand, um eine neue Regierung unter seiner Führung zu bilden.

Er spielt das «Good Boy, Bad Boy»-Spiel. Er ist der Good Boy, der freundliche Parteichef. Der Bad Boy ist der stramm rechte Kickl, der mit provokanten Aussagen die Anhänger, die weit rechts stehen, hinter sich versammelt.

Die ÖVP liegt klar vorne. Hat ihr Kurz' Abwahl im Mai nicht geschadet?

Nein, Kurz ist mit grossem Abstand der populärste Politiker in Österreich, und auch seine Partei liegt meilenweit vorn. Sie kommt nach den aktuellsten Umfragen auf stolze 33 Prozent. Das heisst, Kurz hat aller Voraussicht nach – vorausgesetzt, es gibt keine neue Ibiza-Affäre – nach der Wahl alle Trümpfe in der Hand, um eine neue Regierung unter seiner Führung zu bilden.

Wäre es möglich, dass Kurz wieder mit der FPÖ zusammen regiert?

Er hat diese Variante nicht ausgeschlossen. Die FPÖ gibt sich grösste Mühe, sich abermals als Regierungspartner anzudienen. Daran hat auch Hofer keinen Zweifel gelassen. Ob Kurz sich darauf einlässt, ist natürlich auch ein Stück weit ein Blick in die Kristallkugel. Aber vieles spricht dafür, dass es einen zweiten Versuch gibt, mit der FPÖ wieder eine Regierung zu bilden.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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