Der 63-jährige iranische Atomphysiker Mohsen Fachrisadeh wurde am Freitag in einem Vorort von Teheran erschossen. Er wurde heute beigesetzt. Die iranische Führung macht die USA und Israel für den Anschlag verantwortlich.
SRF News: Iran will Vergeltung «zur rechten Zeit». Was heisst das?
Adnan Tabatabai: Das heisst, dass man nicht sofort agieren möchte beziehungsweise sich nicht dem Druck aussetzen möchte, sofort agieren zu müssen. Im politischen Kontext mit einer sehr radikalen US-Regierung und der Lage in der Region überlegt sich Iran, ob der Zeitpunkt für Vergeltung jetzt klug wäre.
Könnte es auch sein, dass gar keine Vergeltung erfolgt?
Es kann sein, dass bis zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden nichts passiert. Mit dieser Mehrdeutigkeit spielt Iran, um den psychologischen Druck zu erhöhen.
Auch nach der Tötung von General Ghassem Soleimani ist nichts passiert. Macht sich die iranische Führung nicht unglaubwürdig?
Es gibt Kritik von verschiedenen Seiten des politischen Spektrums, dass diese Formel der strategischen Geduld als Schwäche ausgelegt werden kann. Gerade im Fall von General Soleimani wurde aber ausgemacht, als Rache die Amerikaner aus der Region des Mittleren Ostens zu vertreiben. Das ist ein Langzeitprojekt.
Beim Attentat kam laut einem iranischen TV-Bericht eine israelische Waffe zum Einsatz. Weiss man, wer hinter dem Anschlag steht?
Es wird ziemlich klar kommuniziert, dass es der israelische Geheimdienst war. Es gibt unabhängig davon einen Bericht der «New York Times», der sich auf Geheimdienstquellen in den USA bezieht, dass es die Israelis gewesen sind.
Warum die Israelis und nicht die Amerikaner oder sonst jemand?
Zum einen denke ich, dass die israelische Politik eher für sich das Recht beansprucht, einen iranischen Nuklearwissenschaftler zu töten als der US-Geheimdienst. Die Israelis sehen sich durch das iranische Nuklearprogramm am stärksten bedroht. Zum anderen ist es auch eher denkbar, dass der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad die Operationen in der Region durchführt. Er hat das aber sicher mit Washington koordiniert.
Welchen Einfluss hat das auf das iranische Atomprogramm?
Technisch dürfte das keinerlei Auswirkungen haben. Mit Fachrisadeh wurde zwar ein führender Nuklearforscher getötet. Er hat aber die Ausrichtung des Nuklearprogramms in den letzten Jahren institutionalisiert. Man wusste, dass er ein mögliches Ziel ist und hat die Arbeit mit einer neuen Generation von Forschern so gestaltet, dass eine einzelne Tötung nichts ändern wird.
Geht das Nuklearprogramm weiter wie bisher?
Es wird weiterlaufen. In vielen Diskussionen in Teheran wie auch international wird eher angenommen, dass diese Tötung nicht auf das Nuklearprogramm zielte. Sondern um vorzubeugen, dass es eine politische Annäherung zwischen Teheran und Washington mit Joe Biden geben könnte. Denn für Irans regionale Rivalen – Israel, aber auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – ist es stets eine Sorge, dass Iran wirtschaftlich aufgewertet wird und international wieder stärker auftritt. Genau das war durch das Nuklearabkommen von 2015 passiert.
Besteht Hoffnung, dass das Abkommen wieder auflebt, wenn es keine Vergeltung gibt und der neue US-Präsident eingesetzt wird?
Es besteht eine Chance. Sowohl in Washington als auch in Teheran werden Leute in der Regierung sitzen, die genau wissen, wie die andere Seite tickt. Es wird zugleich viele Akteure geben, welche einer Annäherung vorbeugen wollen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.