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Nach Rückzieher von Hongkong «Das Auslieferungsgesetz ist überhaupt nicht vom Tisch»

Die massiven Proteste seit über einer Woche in Hongkong zeigen Wirkung. Die Regierungschefin Carrie Lam hat die Pläne für das umstrittene Auslieferungsgesetz auf Eis gelegt. Mit dem Gesetz hätte Hongkong Personen an China ausliefern müssen, die dort als verdächtig gelten oder gesucht werden.

Lam begründete, es gebe in der Öffentlichkeit immer noch Bedenken und Zweifel an der Gesetzesvorlage. Zudem müsse in der Stadt wieder Ruhe einkehren. Südostasien-Korrespondent Lukas Messmer war für SRF bei der Medienkonferenz dabei.

Lukas Messmer

Südostasien-Korrespondent

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Lukas Messmer ist seit Ende 2017 Südostasien-Korrespondent für SRF mit Sitz in Bangkok. Zuvor arbeitete er als Produzent, Kameramann und Editor beim SRF-China-Korrespondenten in Shanghai.

SRF: Das Gesetz wird nun auf Eis gelegt. Kann man sagen, die Hongkonger Regierung gibt dem Druck der Strasse nach?

Lukas Messmer: Ja das heisst es. Der Druck wurde am Ende ganz einfach zu gross. Da war zuerst die Demonstration am letzten Wochenende mit fast einer Million Leute. Am Mittwoch ist die Situation dann eskaliert, die Polizei hat 150 Kanister Tränengas in die Menge gefeuert – dafür hat die Regierungschefin ganz viel Kritik geerntet. Und morgen wären wahrscheinlich nochmals eine Million Leute auf die Strasse gegangen. Am Schluss war auch die Wirtschaftselite von Hongkong gegen dieses Gesetz. All das zusammen hat jetzt offenbar Lam dazu bewogen, diese Entscheidung zu treffen. Das ist für sie keine komplette Niederlage, denn das Gesetz ist ja nur pausiert und sie kann jederzeit wieder darauf zurückkommen.

Muss man also damit rechnen, dass dieses Gesetz doch noch eingeführt wird?

Ja. Carrie Lam hat 12 Tage Zeit, den Legislativrat zu benachrichtigen, falls sie das Gesetz erneut besprechen will. Das hat sie zwar nicht vor, sie kann das aber theoretisch jederzeit tun. Es wurde an der Pressekonferenz auch klar, dass sie noch an das Gesetz glaubt. Sie sagte mehrfach, das Gesetz sei richtig. Sie und ihre Regierung hätten die Wichtigkeit dieses Gesetzes einfach nicht richtig erklärt. Sie wolle es nun nachbessern und danach erneut vorschlagen.

Es ist ja Peking, das dieses Gesetz will. Zudem wurde Carrie Lam nicht frei gewählt, sondern durch Peking eingesetzt. Begibt sie sich jetzt auf Konfrontation mit der Zentralregierung oder ist diese Aktion sogar aus Peking orchestriert?

Das ist nicht ganz klar. Man weiss nicht, ob Peking dieses Gesetz in dieser Form zu diesem Zeitpunkt wirklich will. Es war wohl eher eine Idee von Lam. Die Proteste lassen ja Peking in einem schlechten Licht dastehen. Es kann also sein, dass China gar nicht unglücklich ist, dass dieses Gesetz vorerst vom Tisch ist. China wächst und wird mächtiger und wird Hongkong auf die Länge sowieso enger an sich binden.

Werden die Menschen wieder zu Hundertausenden protestieren, wenn die Gefahr nun aus dem Blickfeld ist?

Ich glaube, ja. Denn die Menschen hier trauen Lam überhaupt nicht. Viele fordern, dass sie dieses Gesetz komplett zurückziehen und nicht einfach nur verzögern soll. Sie glauben, es ist nur eine taktische Finte der Regierung. Viele sind zudem verärgert, dass sich Lam für den brutalen Polizeieinsatz nicht entschuldigt hat. Alle mit denen ich heute gesprochen habe, wollen morgen wieder protestieren. Aber die Leute sind müde, deshalb wird wohl nach dem Marsch vom Sonntag erst einmal Ruhe einkehren.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

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