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Nachfolge von Ebrahim Raisi «Es gibt schon länger einen Machtkampf innerhalb Irans Elite»

Am Sonntag ist der iranische Präsident Ebrahim Raisi bei einem Helikopterabsturz ums Leben gekommen. Mit seinem Tod dürfte im Land ein heftiger Machtkampf ausbrechen. Davon gehen zumindest einige Analysten und Beobachterinnen aus. Iran-Kennerin Natalie Amiri von der ARD schätzt die Lage ein.

Natalie Amiri

Journalistin und Nahost-Expertin

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Die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri ist internationale Korrespondentin bei der ARD. Zuvor war sie fünf Jahre lang Studioleiterin der ARD in Teheran.

SRF News: Kommt es jetzt zum heftigen politischen Machtkampf in Iran?

Natalie Amiri: Es gibt schon länger einen Machtkampf innerhalb der politischen Elite der Islamischen Republik. Übergeordnet geht es immer um die Nachfolge des inzwischen schon 85-jährigen Ajatollah Chamenei. Und Raisi galt eben als einer der Spitzenkandidaten für die Nachfolge. Er wurde regelrecht aufgebaut dafür.

Die Auswahl an möglichen Nachfolgern nimmt ab.

Raisi war ein Kandidat, auf den sich die Hardliner hätten einigen können. Ein weiterer Kandidat, der sehr viel umstrittener ist, ist Modschtaba Chamenei, der Sohn des amtierenden Revolutionsführers. Er ist der favorisierte Kandidat von Chamenei. Wobei man gehört hat, dass Chamenei kürzlich angedeutet haben soll, dass er jemand anderen vorziehen würde. Dieser jemand war Raisi, doch der ist jetzt tot.

Teile der iranischen Bevölkerung feiern Tod von Raisi

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Menschenmenge hält Porträtplakate eines Mannes hoch.
Legende: Eine Trauerkundgebung für den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Teheran. Ein Teil der Bevölkerung freut sich aber über seinen Tod. IMAGO/Sha Dati

Der Helikopterabsturz von Raisi löste in Iran nicht nur Trauer aus. Videos, die nach der Meldung im Internet kursierten, zeigen Feuerwerke und Hupkonzerte in Teheran und anderen Städten. «Insgesamt ist die Bevölkerung aber inzwischen apathisch», sagt Natalie Amiri von der ARD. Die Hoffnung von 2022 sei verflogen.

Damals kam es im ganzen Land zu Protesten, nachdem die 22-jährige Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Ein Querschnitt der Bevölkerung sei auf die Strasse gegangen, um zu protestieren, sagt Amiri. «Sie dachten, sie schaffen es, das Regime zu stürzen, doch das Regime ist brutal gegen sie vorgegangen.»

Die Bevölkerung sei noch immer erschöpft von den Protesten. «Jeder kennt jemanden, der im Gefängnis war, der umgebracht worden ist, der sein Augenlicht verloren hat, der im Gefängnis vergewaltigt wurde», sagt die Iran-Kennerin. Mit dem Tod Raisis sei die Genugtuung insofern gross.

Sie sagen, dass dem iranischen Regime die möglichen Nachfolger fehlen. Welche Personen sind denn derzeit überhaupt im Rennen?

Die Auswahl an möglichen Nachfolgern nimmt ab. Es gibt zum Beispiel den konservativen Kandidaten Bagher Ghalibaf. Er war schon dreimal Präsidentschaftskandidat. Er war Bürgermeister von Teheran und ist jetzt Parlamentspräsident. Er könnte ein Anwärter auf den Präsidentschaftsposten sein.

Dann gibt es auch noch den ehemaligen Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif, der immer wieder seine Absicht erklärt hat, zu kandidieren, das dann aber wieder bestritten hat. Es wird innerhalb der konservativen Strömung heftig um diesen Posten gekämpft.

Es wird egal sein, wen Chamenei als Kandidat aufstellen wird.

Ich glaube, egal welcher Kandidat in weniger als zwei Monaten gesetzt wird, dass die Bevölkerung nicht an die Wahlurnen zurückkommen wird. Sie haben dem Regime den Boykott erklärt, das haben sie bei den Parlamentswahlen im März gezeigt. Es wird egal sein, wen Chamenei als Kandidat aufstellen wird.

Der iranische Wächterrat schwächt moderate Politiker immer mehr und verunmöglicht damit eine leichte Öffnung im Land. Könnte Raisis Tod hier etwas ändern?

Nein, überhaupt nicht. Innerhalb des Systems wird es keine Kursänderung geben. Der Wächterrat ist ultrakonservativ. Am Wächterrat müssen alle Kandidaten vorbei. Insofern wird da kein moderater Politiker durchrutschen. Kommt hinzu, dass es gar keine moderateren Politiker gibt. Alle, die in den letzten 45 Jahren einen moderateren Kurs gegangen sind, sind entweder im Exil oder im Gefängnis.

Das Gespräch führte Dominik Rolli.

SRF 4 News, 21.05.2024, 07:45 Uhr ; 

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