«Die Ratten regieren nicht die Stadt. Wir tun das!»: An einer Pressekonferenz zeigen die Stadtverantwortlichen Verzweiflung und wilde Entschlossenheit zugleich. Bürgermeister Eric Adams sucht einen «Rattenzar» oder «Rattenzarin», um die Plage in den Griff zu bekommen. Doch noch ist er nicht fündig geworden. «Die Kandidaten müssen denselben Killerinstinkt haben wie ich. Es ist kein Geheimnis, dass ich Ratten hasse.»
Beschwerden über Ratten explodieren
Die Beschwerden bei der Stadt sind explodiert. New York, das ist eine glamouröse Skyline, Wirtschaftsmetropole, Stadt der Träume, unfassbar teure Wohnungen. Doch in der Nacht kriechen seine unbeliebtesten Bewohner aus ihren Behausungen. Sie sind in den Häusern, U-Bahnen, Wohnungen.
Die Lower East Side in Manhattan ist eines der besonders betroffenen Quartiere. Die Einwohner sind Ratten gewohnt, doch nun ist es selbst für sie zu viel. «In der Dämmerung gibt es auf der Strasse mehr Ratten als Menschen. Und einige sind grösser als meine Hunde», klagt ein Anwohner. Und eine Frau: «Ein Nachbar hatte eine in der Wohnung. Das geht zu weit!»
Die New Yorker begegnen der Plage mit Galgenhumor, und veröffentlichen ihre Rattenvideos in den sozialen Medien. Ratten, die über schlafende Menschen in der U-Bahn klettern, zwischen den Füssen der Passagiere durchrennen, sich in Autos einnisten, oder nachts durch Restaurants streifen.
Ein Restaurant-Aussensitzplatz ist das perfekte Ratten-Wohnhaus.
Annmarie Pristera ist Kammerjägerin – sie kennt die Vorlieben der Ratten genau. Wir sind mit ihr vor Sonnenaufgang in Brooklyn und der Lower East Side unterwegs. Während wir sprechen, hören wir die Ratten piepsen und sehen sie davonrennen.
Sie zeigt uns, wo die Ratten ihr Paradies finden. «Ein Restaurant-Aussensitzplatz ist das perfekte Ratten-Wohnhaus. In den Räumen darunter verstecken sich die Ratten. In den mit Erde gefüllten Seitenräumen bauen sie ihr Nest. Frühstück, Mittag- und Abendessen ist gleich nebendran.»
Pandemie hat Rattenplage verstärkt
Pristera zeigt auf einen Haufen Müllsäcke, die am Strassenrand liegen. Einige sind angeknabbert, Essen liegt auf der Strasse. «Je nachdem wie lange es geht bis die Müllabfuhr kommt, kann das zwölf Stunden hier liegen.»
Die Aussensitzplätze sind beliebte Rattenunterkünfte. Sie wurden während der Pandemie aufgebaut. Seither hätten sich die Ratten stark vermehrt, sagt Pristera. In der Pandemie habe es auch weniger Müllabfuhr, mehr Abfälle zu Hause und verlassene Lokale, gegeben. Das alles habe die Plage verschärft.
Die Ratten sind etwa 1730 mit den Einwanderern per Schiff aus Europa nach New York gekommen. Seither haben verschiedene Bürgermeister immer wieder Abhilfe versprochen – vergeblich.
Die Tiere sind enorm anpassungs- und lernfähig. Annmarie Pristera nimmt uns mit in einen stark befallenen Keller. «Wenn die Ratten sehen, wie eine andere krank wird, nachdem sie Rattengift gefressen hat, oder wenn sie eine Ratte in die Falle geraten sehen, werden sie die Falle meiden.» Dazu vermehren sich Ratten sehr schnell.
Abfall: das Rattenbuffet à discrétion
Ratten können Krankheiten übertragen, nagen Kabel an und können Brände auslösen. Pristera versucht, das Haus so gut wie möglich gegen Ratten abzuschirmen und Zugänge zu verschliessen. «Ich mag sie eigentlich. Es tut mir sehr leid, sie zu töten.» Annmarie Pristera hat in der Erde rund um einen Baum vor dem Haus Gitter montiert.
Denn dort kommen die Ratten ins Haus. Es gebe keine Chance, die Ratten in New York ganz loszuwerden, sind sich Experten einig. Es gehe darum, sie aus Häusern fernzuhalten. Und das «Buffet à discrétion» für die Ratten, die herumliegenden Abfallsäcke, zu reduzieren.