An der Strandpromenade von Brighton Beach bläst ein steifer Wind, die Möwen segeln an einer ukrainischen Flagge vorbei, die hoch oben an einem Backsteingebäude flattert. Ein Zeichen der Solidarität.
Unten, vor dem russischen Restaurant «Tatjana Grill» sitzt Leo auf seinem Rollator in der Sonne, zusammen mit einer Seniorengruppe. Zuerst will er nicht sprechen. Doch dann winkt er mich heran.
«Schrecklich» nennt er den Krieg in der Ukraine, verrückt wie der Einfall der Tataren. Putin sei «ein wild gewordenes Tier». Er glaube, er sei der Führer. Wie damals Hitler im Zweiten Weltkrieg. Und jetzt sei der KGB-Mann Putin in der Ukraine. Der «Satan» werde nicht aufhören. Das müsse man begreifen. Leo ist 81 Jahre alt, ein jüdischer Ukrainer aus Charkiw, und siedelte vor 30 Jahren gleich nach dem Fall der Mauer in die USA über. Sein Herz breche noch einmal, sagt der Holocaust-Überlebende.
Wie Leo sind viele Bewohnerinnen und Bewohner in Brighton Beach vor vielen Jahrzehnten in die USA eingewandert. Trotzdem sprechen die meisten kaum Englisch. Sie leben in einer eng verknüpften Gemeinschaft zusammen.
An der Hauptstrasse unter der U-Bahn-Linie reihen sich russische Restaurants an ukrainische Bäckereien und georgische Lebensmittelläden. In den Schaufenstern hängen gelb-blaue Fahnen, Schleifen und Kleber – ein Bekenntnis der Solidarität mit der Ukraine.
Die Russin Vera verkauft Kaviar – halb so teuer wie in Manhattan. Die Ware komme aus Bulgarien, Uruguay und Italien – nicht aus Russland, wie sie betont.
Die Russen seien keine guten Menschen, sagt die Frau aus der südrussischen Stadt Tscheljabinsk. Die reichen Russen, präzisiert sie. Ihre Kundin Lali, eine Georgierin, sagt, in Brighton Beach würden Migranten aus allen Ex-Sowjetländern friedlich zusammenleben. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin verpönen sie. Sie lebe seit 25 Jahren in den USA. «God bless America», sagt die Kaviarverkäuferin.
«Glory to Ukraine», steht auf einem selbstgebastelten Transparent, das auf der anderen Strassenseite an einer Mauer hängt. Darüber Fotos von verletzten Kriegsopfern in der Ukraine.
Die Solidarität in Brighton Beach sei gross, ungeachtet der Herkunft, sagt Jerry. Er ist in der westukrainischen Stadt Lwiw geboren, und lebte danach in Russland. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion galt er als staatenlos, wie zehntausende von Ukrainern, die ihre Herkunft nicht genügen beweisen konnten.
Es komme viel Geld zusammen für die ukrainischen Truppen und die Kinder, betont Jerry. Einige jüngere Leute seien privat in den Krieg gezogen, um dem Heimatland zu helfen. Er findet, die US-Regierung und die westlichen Verbündeten sollten mehr tun.
Es brauche konkret militärische Hilfe. Die Ukraine sei entwaffnet worden, getäuscht und angegriffen, sagt Jerry. Und nun würden alle spekulieren, was man tun solle. Jerry lacht bitter. Der Krieg in der Ukraine spült in ihm alte Traumata hoch. Das geht vielen so in Brighton Beach.