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Bauen im Nahen Osten Jerusalems umstrittenes Seilbahnprojekt

Eine Seilbahn soll die Altstadt Jerusalems künftig besser erschliessen. Das Projekt weckt viel Kritik.

Die Heilige Stadt Jerusalem hat ein Verkehrsproblem: Die Altstadt, die Touristinnen und Touristen aus aller Welt gleichermassen anzieht wie gläubige Juden, Musliminnen und Christen, ist mit dem öffentlichen Verkehr nicht leicht zu erreichen. Um dieses Problem zu lösen, hat sich die Stadtverwaltung zusammen mit dem Tourismusministerium dazu entschieden, eine Gondelbahn zu bauen.

Karte mit Seilbahn-Weg
Legende: Die geplante Seilbahn in Jerusalem soll von der Khan-Station über den Zionsberg zum Kedem-Komplex führen. Emek Shaveh

Die Gondelbahn soll vom alten Bahnhof im israelischen Westjerusalem zum Zionsberg führen, wo Jesu letztes Abendmahl stattgefunden haben soll. Von dort würden die Zehnergondeln durch das palästinensische Stadtviertel Silwan weiterschweben bis vor die Tore der Altstadt. Endstation: vor der Klagemauer. Bis zu 3000 Passagiere könnten so pro Stunde in die Altstadt gelangen.

Hunderte Einsprachen

Arieh King, stellvertretender Stadtpräsident Jerusalems, erklärt im Gespräch, die Gondelbahn sei die schnellste, umweltfreundlichste und billigste Variante, um mehr Menschen in die Altstadt zu bringen. Das Budget steht aktuell bei umgerechnet etwa 110 Millionen Franken.

Mann mit kariertem blauen Hemd
Legende: Der stellvertretende Stadtpräsident Arieh King vor dem Zionsberg und der Altstadt. Die Gondelbahn sei die beste Lösung für Jerusalems Verkehrsproblem, findet er. SRF

Das Projekt war allerdings von Beginn an umstritten. Hunderte Einsprachen seien erhoben worden, erzählt Talya Ezrahi von der israelischen Nichtregierungsorganisation Emek Shaveh: zum einen von Archäologen, immerhin ist die Stadt um die 5000 Jahre alt. Zum anderen kam auch Widerstand von Stadtplanern, internationalen Architektinnen, palästinensischen Anwohnern.

Die NGO Emek Shaveh kämpft gegen die Instrumentalisierung der Archäologie im israelisch-palästinensischen Konflikt. Emek Shaveh und weitere Organisationen versuchten, das Projekt der Gondelbahn auf dem Gerichtsweg zu stoppen. Doch der Oberste Gerichtshof Israels wies die Klagen vor drei Jahren ab.

Frau mit T-shirt und Sonnenbrille
Legende: Talya Ezrahi und die NGO Emek Shaveh wollten das Seilbahnprojekt stoppen. SRF

Grünes Licht also für die Seilbahn? Derzeit ist das Projekt blockiert. Bisher hat sich keine Firma dazu bereit erklärt, die umstrittene Bahn zu bauen. Die Bedenken bezüglich des Projekts beziehen sich nicht nur auf Fragen des Denkmalschutzes und der einmaligen Skyline der Stadt, welche die Gondelbahn empfindlich stören würde. Es gibt dafür auch politische Gründe.

Mitten durch palästinensisches Wohnquartier

Israel hat das palästinensische Ostjerusalem im Krieg von 1967 erobert und später annektiert. Die Annexion Ostjerusalems ist völkerrechtlich illegal, laut Genfer Konventionen ist es Israel folglich auch nicht erlaubt, dort zu bauen. Doch die geplante Strecke der Gondelbahn würde entlang der Altstadtmauern durch Silwan führen, das grosse Ostjerusalemer Quartier südlich der Altstadt. Geplant ist, dass die Masten mitten auf einer kleinen Wohnstrasse zu stehen kommen, der Malkei-Tsedek-Strasse.

Ein- bis vierstöckige steinerne Häuser säumen die Strasse. Ob die palästinensischen Bewohnerinnen und Bewohner hier wohnen bleiben können, wenn die Gondeln einmal direkt über ihren Hausdächern schweben und die Strasse für den Verkehr nicht mehr passierbar ist?

Die Gondelbahn zerstört uns. Aber mehr dürfen wir nicht sagen, sonst landen wir im Gefängnis.
Autor: Palästinensischer Taxifahrer

Wir klopfen und klingeln an mehreren Haustüren, um nachzufragen. Doch niemand traut sich, mit uns zu sprechen. Die Angst vor Repression ist weit verbreitet. Immer wieder kommt es vor, dass Palästinenserinnen und Palästinenser verhaftet werden, wenn sie sich etwa auf Facebook kritisch gegenüber der israelischen Politik und Behörden äussern.

Projekt der Siedlerorganisation El'ad

Gut hundert Meter weiter oben liegen die Altstadtmauern und das Dungtor, das zur Klagemauer führt. An der Strassenecke warten einige palästinensische Taxifahrer auf Kundschaft. «Die Gondelbahn zerstört uns», sagt einer von ihnen, aber mehr könnten sie nicht sagen: «Sonst landen wir im Gefängnis.» Schräg gegenüber des Dungtors klafft ein riesiges Loch im Boden. Hier soll der Kedem-Komplex gebaut werden, ein Besucherzentrum mitsamt Gondel-Endstation. Der Kedem-Komplex ist ein Projekt der El'ad-Stiftung – El'ad steht für «Stadt Davids».

Wir sehen die Bahn als hochpolitisches Projekt, das Besucherinnen und Besucher nach Ostjerusalem bringen soll – zu Touristenattraktionen, die von jüdischen Siedlern geführt werden.
Autor: Talya Ezrahi NGO Emek Shaveh

El'ad ist eine Organisation ideologischer jüdischer Siedler. Verschiedene Projekte in Silwan stehen unter deren Schirmherrschaft: die Stadt Davids selber etwa. In diesem Freilichtmuseum sollen die Überreste des Palastes von König David stehen. Archäologisch fundierte Beweise dafür gibt es allerdings nicht.

Weiter unten in Silwan soll ein ganzer Quartierteil abgerissen werden, für eine grosse Gartenanlage, den «Königsgarten». Jetzt wohnen dort gegen 1500 Palästinenserinnen und Palästinenser. Allein im letzten halben Jahr wurden bereits 30 Privathäuser demoliert, die palästinensischen Familien gehörten.

Talya Ezrahi von der NGO Emek Shaveh stellt die Gondelbahn in diesen grösseren Zusammenhang: «Aus unserer Sicht ist die Bahn ein hochpolitisches Projekt, das Besucherinnen und Besucher nach Ostjerusalem bringen soll – zu Touristenattraktionen, die von jüdischen Siedlern geführt werden.» Die Organisation El'ad missbrauche die Archäologie als Beleg für die biblische Geschichte. Und mit dem Verweis auf die Bibel solle Israels Exklusivanspruch auf ganz Jerusalem untermauert werden, inklusive Ostjerusalem.

Geplanter Ort für Talbahn von Seilbahn (Gebäude)
Legende: Ganz in der Nähe des alten Bahnhofs in Westjerusalem, wo heute Cafés und Läden untergebracht sind, soll die Gondelbahn losfahren. SRF

Arieh King, der stellvertretende Stadtpräsident, stellt in Abrede, dass das Gondelprojekt ideologisch konnotiert sei. Die Bahn, die in den Verbund des öffentlichen Verkehrs aufgenommen wird und somit zum günstigen Verkehrsmittel werden soll, komme allen Bewohnern Jerusalems zugute, jüdischen und arabischen.

«Lesen Sie die Bibel!»

King ist allerdings selbst ein radikaler Siedler. Die Bestimmungen des Völkerrechts – auf besetztem Gebiet darf die Besatzungsmacht weder bauen noch die eigene Bevölkerung ansiedeln – nimmt er nicht ernst. «Wieso soll ich nicht in Ostjerusalem leben dürfen? Unsere Feinde haben uns einst von hier vertrieben. Wir sind zurückgekehrt. Lesen Sie die Bibel! Dort steht geschrieben, dass dies unser Land ist. Bei allem Respekt für die UNO, die USA und alle anderen: Mischen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten ein.»

Arieh King sehnt die Ankunft des Messias herbei, und den Bau des dritten jüdischen Tempels auf dem Tempelberg – dort, wo der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und die Al-Aksa-Moschee stehen, die drittwichtigste Moschee für Musliminnen und Muslime weltweit.

Tempelberg in Jerusalem mit Felsendom
Legende: Blick auf den Felsendom auf dem Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem. KEYSTONE / EPA / ATEF SAFADI

Als Vize-Bürgermeister leiste auch er einen Beitrag zur Ankunft des Messias: Die Stadtplanung, die Verbesserung der Verkehrssituation und auch die Gondelbahn trügen dazu bei, die Stadt auf dieses Wunder vorzubereiten.

Die jüdische Tradition sagt, dass der Messias auf einem Esel nach Jerusalem reiten wird. Wann die Gondelbahn tatsächlich gebaut wird und ob sie das Erscheinen des Erlösers beschleunigt, wird wohl ein Geheimnis bleiben.

Bauboom in Jerusalem

Box aufklappen Box zuklappen

Die Heilige Stadt Jerusalem zieht nicht nur Millionen von Touristinnen und Touristen an. Es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt in Israel mit fast einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern. Knapp 40 Prozent der Stadtbevölkerung sind Palästinenserinnen und Palästinenser, die unter israelischer Besatzung leben.

Der Bedarf an Wohnraum ist gross. Vielerorts in der Stadt gibt es riesige Baustellen. 480 Hochhäuser seien in Planung, erzählt der Anwalt und Israel-Experte Daniel Seidemann. Er kritisiert, dass Jerusalem deshalb bald nicht mehr zu unterscheiden sein werde von Grossstädten in den USA. Das Erscheinungsbild und der einmalige Charakter Jerusalems – religiöses Zentrum für Juden, Christen und Muslime – seien in Gefahr.

Laut Seidemann sind die Pläne für die Stadtentwicklung einschneidend: Erstmals sei vorgesehen, ganze palästinensische Wohnviertel abzureissen. Dort sollen Hochhäuser gebaut werden: vor allem für jüdische Israeli.

 

Radio SRF 1, International, 1.6.2025, 18:30 Uhr; sten

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