Seit der Absetzung von Diktator Bashar al-Assad versinkt Syrien in neue Gewalt. Besonders betroffen: religiöse Minderheiten wie Drusen, Christen und Alawiten. Im März wurden Angehörige der alawitischen Minderheit in der syrischen Küstenregion ermordet.
Im Juni sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einer Kirche in Damaskus in die Luft und riss zahlreiche Gläubige mit in den Tod. Und Mitte Juli kam es zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen Drusen und Beduinen im Süden Syriens.
In einem kleinen Wohnzimmer in einem christlich geprägten Stadtteil von Damaskus treffen sich Jean, Farah und Sahra. Drei junge Syrer, drei unterschiedliche Geschichten – aber eine gemeinsame Erfahrung: Ausgrenzung, Angst, Verlust.
Schock, Angst, Wut
Sahra, eine Drusin, verlor bei den jüngsten Ausschreitungen in Suweida einen Teil ihrer Familie. «Zuerst war da der Schock. Dann kam die Angst. Jetzt ist nur noch Wut übrig», sagt sie.
Farah, eine Alawitin, spricht von innerer Leere. Drei Tage lang erlebte sie in der Küstenregion von Latakia die Massaker an ihrer Gemeinschaft. «Die Farah, die ich einmal war, ist in diesen Tagen gestorben.»
Für die Islamisten bin ich ein Dämon.
Auch Jean, ein christlicher Künstler, kennt das Gefühl der Ohnmacht – und der Schuld. «Warum habe ich überlebt, warum nicht die anderen?» Er beschreibt, wie ihn das Überleben in die Depression treibt.
Zudem verstehe er sich mehr als Atheisten. Wenn Menschen wegen ihrer Religion ermordet werden – was passiere mit einem wie ihm, der nicht einmal an einen Gott glaube, fragt er. «Für die Islamisten bin ich ein Dämon.»
Alle drei fühlen sich heute stärker denn je auf ihre religiöse Zugehörigkeit reduziert. Nicht aus Überzeugung – sondern weil sie ständig zur Zielscheibe werden.
Statt Frieden erleben sie neue Vorurteile.
Der neue Präsident Syriens, Ahmad al-Sharaa, spricht von einer Übergangsphase, er hat Parlamentswahlen für nächsten September in Aussicht gestellt.
Doch für Sahra ist das blanker Zynismus. «Mehr als tausend Menschen sind gestorben – einfach, weil sie einer Minderheit angehören. Das ist nicht akzeptabel». Statt Frieden erleben sie neue Vorurteile: die Alawiten als einstige vermeintliche Nutzniesser Assads, die Drusen als angebliche Israel-Sympathisanten.
Eine Lösung ist nicht in Sicht
Die Stimmung ist resigniert. Demonstrationen für Meinungsfreiheit wurden zuletzt von Extremisten zerschlagen. «Sie sagen dir ins Gesicht: Wir haben Assad mit Waffen gestürzt – du hast nichts zu melden», so Jean. Demokratie klingt anders.
Was bleibt, ist ein bitterer Satz von Sahra: «Ich wollte dieser Gemeinschaft entkommen. Jetzt zwingt mich das Land, wieder genau in sie zurück.» Eine Lösung sieht keiner der drei. Nur eine lähmende Mischung aus Leere, Angst und der Frage: Was, wenn es nie besser wird?