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Nahostkonflikt und Europa Die EU fühlt sich mal wieder wohl in ihrer Nebenrolle

Seit Tagen feilschen Unterhändler der 27 EU-Mitgliedsstaaten um Wörter, Synonyme, Worthülsen und träfe Formulierungen für eine gemeinsame Schlusserklärung der 27 EU-Staats- und Regierungschefinnen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas im Nahen Osten.

Während die einen gerne den Aufruf zu einem Waffenstillstand festgehalten haben wollen, streiten die anderen darüber, ob nun eine humanitäre Pause im Singular oder ob humanitäre Pausen im Plural die unverbindlichen Wünsche der EU besser zum Ausdruck bringen könnten.

Austausch von Feindseligkeiten an der Spitze

Bis tief in die Nacht werden zwischen 27 Hauptstädten in Europa 27 Versionen von Formulierungen hin und her gemailt. Derweilen töten Granaten täglich mehr Menschen in Israel und in Gaza. So entstehe nun einmal in der EU der angestrebte politische Konsens in heiklen politischen Fragen, rechtfertigen sich EU-Diplomaten. Ehrlich wäre es, zuzugeben, dass die Öffentlichkeit ohne solch diplomatisches Feingefühl dieses Gehabe einfach nur peinlich findet.

Peinlich für die Europäische Union ist es auch, wie seit Ausbruch des Krieges in Nahost die Präsidentin der EU-Kommission, die Deutsche Ursula von der Leyen, und der Präsident des Europäischen Rates, der Belgier Charles Michel, in aller Öffentlichkeit nur Feindseligkeiten austauschen. Es geht dabei nicht um die Sache, es geht nur um persönliche politische Abrechnungen.

Das ist alles peinlich, weil es letztlich gar keine Rolle spielt, was am Ende des Tages in den vier Abschnitten der Schlusserklärung des EU-Gipfels steht zum Thema Naher Osten. Es sind bloss Wortgefechte, politisch eher belanglos, weil das aussenpolitische Gewicht der EU belanglos ist in dieser Konfliktregion. Neu ist das nicht. Die letzten Wochen haben es einfach bestätigt.

Politischer Einfluss der EU als Machtblock ist beschränkt

Natürlich passt das schlecht zum eigenen, innereuropäischen Anspruch, ein geopolitischer Player zu sein. Es ist aber die Realität. Die EU verfügt über keine Kriegsschiffe, die sie analog den USA in das östliche Mittelmeer abkommandieren kann. Dieses Instrument der Machtdemonstration kennt die EU nicht. Ihr politischer Einfluss als Machtblock ist beschränkt.

Also bleiben Worte, die eine unbedeutende, aber immerhin gemeinsame politische Linie der EU beschreiben können: Alle EU-Staaten verurteilen die brutalen und willkürlichen Angriffe der Hamas auf Israel mit scharfen Worten. Gleichzeitig fordert die EU ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe im Gazastreifen zum Schutz der Zivilbevölkerung. Das ist ausgewogen.

Das innereuropäische Ringen um Worte und träfe Formulierungen hat aber auch eine gute Seite: Es verhindert blindes Rennen in eine falsche Richtung im Eifer des Gefechtes. Wer Bedenken äussert, zwingt die andere Seite, sich mit einer anderen Sicht der Dinge auseinanderzusetzen. Das wirkt mässigend und führt im besten Fall zu politischem Handeln mit mehr Weitsicht.

Es macht die fehlende aussenpolitische Handlungsfähigkeit der EU aber natürlich nicht wett.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Echo der Zeit, 26.10.2023, 18:00 Uhr

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