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Nato und Türkei Auf Demokratie kommt es nicht mehr an

Der nächste Nato-Gipfel wird in der Türkei stattfinden. Zum ersten Mal in einem zunehmend autoritär regierten Land.

Die Türkei wird für den Nato-Gipfel vom kommenden Jahr mit grosser Kelle anrichten. Zumal man den Grossanlass nutzen kann, um einen gigantischen Militärkomplex bei Ankara einzuweihen. Die Anlage soll am Ende grösser sein als das Pentagon in Washington.

Dass er nun einen Gipfel ausrichten kann, ist ein Triumph für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Seit Jahren bemüht er sich darum. Jahrelang wehrten sich etliche Nato-Mitglieder dagegen. Zum einen, weil die Türkei oft querschiesst im Bündnis und Entscheidungen blockiert. Zum anderen mochte man diesen prestigeträchtigen Grossanlass nicht ausgerechnet unter der zunehmend undemokratischen Erdogan-Herrschaft durchführen.

Türkei als «Problembär»

Zwar war die Türkei schon einmal, 2004, Gastgeber des Nato-Gipfels. Doch damals befand sie sich demokratiepolitisch in einem respektablen Zustand. Jetzt hingegen, nachdem Erdogan Oppositionelle, die ihm gefährlich werden könnten, reihenweise abserviert hat, ist sie auf dem Tiefststand seit dem Ende der Militärdiktatur.

Das Land war innerhalb der Nato stets eine Art «Problembär». Permanent laviert es zwischen Kooperation und Konfrontation.

So wollte Erdogan schon vor Jahren die Wahl des Dänen Anders Fogh Rasmussen zum Nato-Generalsekretär hintertreiben – weil eine dänische Zeitung Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. Später bestellte die Türkei das S-400-Raketensystem ausgerechnet bei Russland, dem Erzfeind der Nato. Im Ukraine-Krieg trägt das Land die westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht mit und dient den Russen gar als Umgehungsdrehscheibe. Und Schwedens Nato-Beitritt blockierte Erdogan lange Zeit.

Realpolitik vor Moralpolitik

All das ist nicht vergessen. Doch es scheint nicht mehr so wichtig. Die Kritik ist verstummt. Aus Nato-Sicht entscheidend ist momentan, dass die Türkei zumindest begrenzt die Ukraine unterstützt: Etwa mit Drohnenlieferungen und indem sie mit der Sperrung des Bosporus für Kriegsschiffe verhindert, dass die Russen ihre Schwarzmeer-Marine verstärken. Und angesichts der Ressourcenknappheit der Nato spielt auf einmal eine grosse Rolle, dass die Türkei über grosse Streitkräfte und eine potente Rüstungsindustrie verfügt. Aus europäischer Perspektive dient sie zudem als sicherheitspolitisches Bollwerk gegen die Konflikte im Nahen Osten und als Auffangbecken für Flüchtlingsströme.

Realpolitik kommt also vor Moralpolitik – das erklärt die Gipfelentscheidung der Nato. Bemerkenswert ist auch, dass sie unstrittig ist – anders als das noch vor Kurzem der Fall gewesen wäre. Wohl auch deshalb, weil die Türkei als undemokratischer Sündenfall im Bündnis ohnehin nicht mehr alleine dasteht. Auch Ungarn oder die Slowakei schreiten auf dem Weg Richtung autoritäre Herrschaft zügig voran. Unter Präsident Donald Trump bewegen sich selbst die USA in diese Richtung.

Eine andere Frage ist, wie sich das vertragen soll mit der Glaubwürdigkeit der Nato als Allianz demokratischer Staaten. Aber offenkundig kommts darauf nicht mehr an.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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Echo der Zeit, 11.7.2025, 18 Uhr;hosb;flal;liea

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