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Nato sucht Gespräch mit Türkei
Aus Rendez-vous vom 11.10.2019. Bild: Keystone
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Nato vor Zerreissprobe «Die Türkei hat bereits alle roten Linien überschritten»

Seit drei Tagen geht die Türkei in Nordsyrien gegen die kurdischen Milizen vor. Die Türkei ist Mitglied der Nato. Viele andere Nato-Staaten verurteilen die Offensive, tun aber nichts. Jens Stoltenberg, Generalsekretär des Militärbündnisses, traf in Istanbul den türkischen Aussenminister Mevlut Cavusoglu. Nato-Kenner Andreas Zumach erwartet nicht mehr als Rhetorik.

Andreas Zumach

Andreas Zumach

Freier Korrespondent

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Zumach ist UNO-Berichterstatter mit Sitz in Genf. Er arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien.

SRF News: Wie gross ist der Spagat, den die Nato in Bezug auf ihr Mitgliedsland Türkei wegen der Militäroffensive machen muss?

Andreas Zumach: Der Spagat ist sehr gross. Die europäischen Nato-Staaten haben die Invasion zwar politisch verurteilt, aber sie haben das Wort Völkerrechtsbruch nicht in den Mund genommen, genauso wenig wie die Trump-Regierung. Auch Generalsekretär Stoltenberg wird davor zurückscheuen. Er ist nicht darum zu beneiden, was er vorführen muss.

Steht die Nato vor einer Zerreissprobe?

Diese Zerreissprobe hält schon länger an. Sie begann vor über sechs Jahren mit dem Syrien-Krieg. Die Türkei unterstützte ursprünglich den IS. Und die USA kooperierten eng mit den syrisch-kurdischen Milizen, die wiederum die effektivste Bodentruppe gegen den IS waren.

Stoltenberg kann der Türkei nichts androhen, was nicht vorher von den Aussenministern der Mitgliedsstaaten abgesegnet worden wäre.

Dazu kamen Waffenkäufe der Türkei in Russland, die in Washington für Ärger gesorgt haben. Dieser Konflikt wird jetzt noch viel schärfer werden.

Was hat Stoltenberg für Möglichkeiten?

Stoltenberg ist nur ein Generalsekretär. Er ist davon abhängig, was die Nato-Mitgliedsstaaten beschliessen oder eben nicht, weil sie sich nicht einig sind. Er kann der Türkei nichts androhen, was nicht vorher von den Aussenministern der Mitgliedsstaaten abgesegnet worden wäre. Und bisher hat es dazu noch kein politisches Treffen gegeben – auch nicht auf Ebene der Botschafter.

Wieso hat die Türkei so gute Karten?

Wegen der geografischen Lage und dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei. In den letzten 40 Jahren war das für die USA und für die Nato die wichtigste Basis für alle Militärmassnahmen in der Region. Aber das für die Europäer wahrscheinlich brisanteste Erpressungsmaterial sind die etwa 3.6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei.

Erdogan droht ganz offen, die Schleusen zu öffnen und die Flüchtlinge nach Europa zu schicken.

Präsident Erdogan hat auf Basis eines Abkommens mit der EU Flüchtlinge aus europäischen Ländern zurückgenommen. Jetzt droht er ganz offen, die Schleusen zu öffnen und diese Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Das ist der Grund für die Zurückhaltung in den europäischen Hauptstädten.

Gibt es eine rote Linie, die Türkei nicht überschreiten darf?

Ich wüsste gar nicht, welche rote Linie noch überschritten werden könnte. Trump sagte, die Türkei müsse sich human verhalten, keine Menschenrechtsverletzungen begehen, doch das passiert doch alles schon. Ob man die Flucht von Zehntausenden von Menschen aus Angst vor türkischen Bomben nun als ethnische Säuberungen klassifiziert oder nicht: Es findet de facto eine Vertreibung statt und es werden noch viele mehr fliehen.

Trotz rhetorischer Fassaden macht die Nato in der Substanz mit.

Abgesehen von gezielten Erschiessungen von Zivilisten und Massenvergewaltigungen kurdischer Frauen – ich spekuliere jetzt, was noch alles passieren könnte – hat die Türkei alle roten Linien bereits überschritten.

Lässt die Nato die Türkei gewähren?

Man versucht das hinter mehr oder weniger starken Worten der Kritik zu kaschieren. Der längst fällige Begriff des Völkerrechtsverstosses, des Verstoss gegen die UNO-Charta, gegen das absolute Gewaltverbot, wird nicht ausgesprochen. Trotz rhetorischer Fassaden macht die Nato in der Substanz mit. Nicht einmal Waffengeschäfte mit der Türkei sind storniert worden.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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Bundesrat Cassis verurteilt türkische Militäroffensive
Aus Tagesschau vom 10.10.2019.
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