Vor acht Jahren wurden die Jesidinnen und Jesiden im Norden Iraks von den Terroristen des IS vertrieben, Tausende von ihnen wurden verschleppt, versklavt, vergewaltigt oder getötet. Die UNO sprach von Völkermord. Jetzt wird die religiöse Minderheit erneut in die Flucht getrieben – von der irakischen Armee. Mehr über die Hintergründe weiss SRF-Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner.
SRF News: Was wissen Sie über die Situation in der Region Sindschar?
Susanne Brunner: Anfang Woche hat die Türkei das Gebiet von Sindschar bombardiert, weil dieses ein Rückzugsgebiet der in der Türkei verbotenen und von ihr als Terrororganisation bezeichneten Kurdischen Arbeiterpartei PKK ist. PKK-Kämpfer lancieren aus der Region heraus immer wieder Angriffe auf türkische Soldaten im irakisch-türkischen Grenzgebiet. Auch bei der kurdischen Autonomie-Regierung Nordiraks in Erbil ist die PKK verhasst – weil wegen deren Streitereien mit der Türkei Nordirak immer wieder unter Luftangriffen der türkischen Armee leidet.
2014 waren es ausgerechnet PKK-Kämpfer, welche als einzige den Jesiden gegen die Gräueltaten der IS-Terroristen beigestanden hatten.
Fakt ist: Niemand hat wirklich die Kontrolle über die Region Sindschar westlich von Mossul, zudem hat sich jetzt auch die irakische Armee eingemischt, um gegen die PKK-Kämpfer vorzugehen – und gegen bewaffnete Jesiden, die mit der PKK verbündet sind. Die jesidischen Zivilisten geraten also zwischen die Fronten der Kämpfe gegen die kurdische PKK – und dabei waren es 2014 PKK-Kämpfer, welche als einzige den Jesiden gegen die Gräueltaten der IS-Terroristen beigestanden hatten.
Vor rund acht Jahren sorgten die Angriffe des IS auf die Jesiden im Nordirak weltweit für Entsetzen, Hunderttausende von ihnen flohen. Waren sie inzwischen also wieder in ihre Heimat Sindschar zurückgekehrt?
Nein, die meisten Geflüchteten sind bislang nicht zurückgekehrt. Der IS hat die jesidische Gemeinschaft 2014 brutal zerschlagen, die UNO spricht von Völkermord. Hunderttausende flohen, viele von ihnen ins Ausland, ohne Hoffnung auf Rückkehr. Auch kommt der Wiederaufbau von Sindschar nur sehr langsam voran.
Jetzt sind rund 700 jesidische Familien auf der Flucht.
Ohne Infrastruktur und ohne Schutz vor neuer Gewalt kehrten nur wenige Jesiden in die Region zurück – und diese mussten jetzt wieder vor der Gewalt fliehen. Rund 700 Familien, die schon 2014 Tote oder verschleppte Verwandte durch den IS zu beklagen hatten und selber fliehen mussten, sind jetzt erneut auf der Flucht.
Es scheint, dass die Jesidinnen und Jesiden der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind – gibt es niemanden in Irak, der sie beschützt?
Nein – und das ist die Tragödie von Sindschar, aber auch die Tragödie Iraks. Es ist ein typisches und trauriges Beispiel für die Tatsache, dass Irak kein souveräner Staat ist. Sindschar ist ein Einfallstor für verschiedenste Regionalmächte wie die Türkei, Iran, aber auch kriminelle Banden wie Schmuggler, Kriminelle oder vor Jahren eben die Terroristen des IS, die Sindschar eben erst, im vergangenen Januar, erneut angriffen.
Sindschar ist ein Einfallstor für verschiedenste Regionalmächte und kriminelle Banden.
Niemand kann die Sicherheit der Jesidinnen und Jesiden garantieren. Sie können sich einzig selber bewaffnen und versuchen, ihr Volk zu schützen. Meist aber gelingt es den wenigen Jesiden-Kämpfern aber bloss, etwas Zeit zu gewinnen, damit ihre Liebsten flüchten können. Und sie selber sterben dann wiederum bei den Kämpfen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.