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Neue Koalition in Italien «Die Zukunft dieser Regierung ist total offen»

Nach einer wochenlangen Zitterpartie ist die neue Regierung Italiens auf der Zielgeraden: Die Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung haben in einer Online-Umfrage einer Koalition mit dem Partito Democratico zugestimmt. Letzterer werde ganz klar nun auch seine Agenda umsetzen wollen, sagt der Politikwissenschaftler und Journalist Roman Maruhn.

Roman Maruhn

Journalist

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Roman Maruhn ist freiberuflicher Journalist und Politikwissenschaftler und lebt seit vielen Jahren in der süditalienischen Stadt Palermo.

SRF News: 79 Prozent der Mitglieder der Fünfsterne-Bewegung sagen Ja zum Bündnis mit dem ehemaligen Erzfeind. Wie ist das einzuordnen?

Roman Maruhn: Das ist überraschend deutlich und wurde in den Medien auch so aufgenommen. Zum einen als Bestätigung dieser Koalition. Aber auch als Zeichen der grossen Krise des Movimento Cinque Stelle, dass darin die einzige Möglichkeit sieht, Neuwahlen mit einer wahrscheinlichen Schlappe zu vermeiden.

Ist damit der Weg frei für eine neue Regierung von Partito Democratico und Cinque Stelle?

Es gibt noch letzte Gespräche mit kleineren Parteien und Gruppen, die diese Regierung unterstützen sollen. Es sieht aber ganz danach aus, dass Conte heute wieder als Ministerpräsident vereidigt werden könnte und dann ganz schnell seine Kabinettsliste vorlegt. Namen zirkulieren bereits. Etwas fraglich ist die Unterstützung im Senat, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass diese Regierung ohne eine Mehrheit in beiden Kammern antreten sollte.

Wie stabil wird die neue Regierung sein?

In der politischen Landschaft Italiens ist es immer ein Problem, dass Regierungsmehrheiten über die Zeit ausfransen und einzelne Politiker von der Opposition abgeworben werden. Prognosen über die Dauer und Stabilität sind entsprechend schwierig. Der ehemalige Premier Matteo Renzi sagte gestern, man werde bis zum Ende der Legislaturperiode kommen.

Die Lega geht in die Opposition. Welche rolle wird der beim Volk beliebte bisherige Innenminister Matteo Salvini spielen?

Es ist davon auszugehen, dass er Totalopposition machen wird. Er will auf den Strassen seine Anhänger gegen diese Regierung mobilisieren. Er hat eine sehr negative Einstellung und sagt ganz offen, dass dies ein Betrug an der Bevölkerung sei und dass Neuwahlen nötig seien. Aber gerade auch der Staatspräsident will nicht schon wieder Neuwahlen, sondern die Legislaturperiode zu Ende bringen.

Sozialdemokraten und Fünf Sterne kündigen jetzt beim Budget eine «expansive Wirtschaftspolitik» an. Wie soll das aufgehen, ohne die öffentlichen Finanzen zu gefährden?

Man erhofft sich etwas mehr Flexibilität von der europäischen Kommission in Brüssel. Wenn man jetzt wieder konstruktiv in einigen Bereichen der europäischen Politik mitarbeitet, könnte es sein, dass die europäischen Partner und die neue Kommission etwas nachsichtiger gegenüber Italien sind. Trotzdem: Am Haushaltsdefizit darf man sich sicherlich nicht zu viel Entgegenkommen erlauben. Was den allgemeinen Schuldenstand betrifft, könnte Brüssel vielleicht ein halbes Auge zudrücken.

Da kommt viel auf die Regierung zu. Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Das Regieren wird keinesfalls einfach, schon allein zwischen den beiden beteiligten Parteien. Das Regierungsprogramm umfasst jetzt in erster Linie einige Schlüsselpunkte des Movimento Cinque Stelle. Der Partito Democratico hat sich noch stark zurückgehalten. Durch die Besetzung von wichtigen Ministerien wird aber ganz klar, dass die Sozialdemokraten auch ihre Agenda umsetzen werden. Das wird schwierige Sitzungen im Ministerrat geben. Die Zukunft der dieser Regierung ist komplett offen.

Das Gespräch führte Rino Curti.

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