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Neue Regierung in Israel Netanjahus rechts-religiöse Regierung ist vereidigt

  • Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl in Israel ist die Regierung des Siegers Benjamin Netanjahu in Jerusalem vereidigt worden.
  • Es ist die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker in der Koalition vertreten.
  • Amir Ochana von Netanjahus rechtskonservativer Likud-Partei wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt.

Bei einer Vertrauensabstimmung stimmten 63 von 120 Knesset-Abgeordneten für und 54 gegen die neue Regierung. Begleitet von wütenden Zwischenrufen der Opposition stellte Netanjahu im Plenum die wichtigsten Ziele für die kommenden vier Jahre vor. Man werde alles tun, «damit der Iran uns nicht mit einer Atombombe zerstört».

Seine Regierung werde sich ausserdem für Annäherungsabkommen mit weiteren arabischen Staaten einsetzen. Netanjahu warf der Opposition vor, sie wolle das Wahlergebnis nicht akzeptieren und stattdessen das Volk gegen seine Regierung aufhetzen.

Benjamin Netanjahu im Anzug vor dem Rednerpult.
Legende: Mit 73 Jahren wird Benjamin Netanjahu zum sechsten Mal Regierungschef. IMAGO/UPI Photo

«Eine Wahl zu verlieren ist nicht das Ende der Demokratie, es ist die Essenz der Demokratie.» Die neue Regierung will tiefgreifende politische Veränderungen durchsetzen und unter anderem das Justizsystem gezielt schwächen.

Nach anderthalb Jahren zurück an der Macht

Die Änderungen könnten laut Experten auch die Aufhebung des aktuell laufenden Korruptionsprozesses gegen Netanjahu bewirken. Noch vor der Vereidigung wurden mehrere umstrittene Gesetzesänderungen im Parlament durchgesetzt. Diese galten als Voraussetzung für mehrere Koalitionsverträge.

Es ist bereits die sechste Regierung, die der Likud-Vorsitzende Netanjahu bildet. Der frühere Langzeit-Ministerpräsident kehrt damit nach anderthalb Jahren in der Opposition zurück an die Macht. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 73-Jährige.

Politiker hören Netanjahu zu.
Legende: In der Koalition sind erstmals rechtsextreme Politiker vertretten: So auch Yitzhah Goldknopf (links), Itamar Ben-Gvir (zweiter von rechts) und Bezalet Smotrich (rechts). IMAGO/UPI Photo

Netanjahu betont immer wieder, er werde selbst eine gemässigte Agenda bestimmen und sich nicht von seinen radikalen Partnern lenken lassen.

Hälfte der Regierung rechtsextrem und religiös

Am Mittwoch begann Netanjahu mit der Verteilung der Ministerposten innerhalb seiner eigenen Likud-Partei. Etwa soll Joav Galant Verteidigungsminister und Jariv Levin Justizminister werden.

Der ehemalige Minister Amir Ohana wurde zum neuen Vorsitzenden des israelischen Parlaments gewählt. Es ist das erste Mal, dass ein offen homosexueller Abgeordneter in diesem Land gewählt wurde.

Die neue Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Die Hälfte davon gehört zu Netanjahus Regierungspartei Likud, die andere Hälfte zu dem rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnis sowie zwei strengreligiösen Parteien.

Netanjahus Lager hatte bei der Parlamentswahl am 1. November eine klare Mehrheit erzielt. Es war bereits die fünfte Wahl binnen dreieinhalb Jahren.

Einschätzung von Marie Schröter, Friedrich-Ebert-Stiftung

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Das sagt Politikwissenschafterin Marie Schröter zur neuen Konstellation in Israel:

«Hier sind Gesetze vorgesehen, welche die demokratischen Pfeiler Israels in Wanken bringen. Am signifikantesten ist die sogenannte Überschreibungsklausel, die künftig die politische Agenda von Abgeordneten über die Gewaltenteilung und die Minderheitenrechte stellen kann. Die Anhänger dieser «Override Clause» sind der Meinung, dass ein Gesetz rechtmässig ist, wenn es die Mehrheit in der Knesset hat. Und zwar völlig unabhängig davon, ob es im Konflikt zur Verfassung steht. Das hat das Potenzial für eine Diktatur der Mehrheit, wenn Grundrechte nicht mehr gesichert werden.»

Zugleich ist die neue Regierung demokratisch mit hoher Wahlbeteiligung gewählt worden. Allerdings werden die Proteststimmen immer lauter und gemäss letzten Umfragen schwindet die Unterstützung der Bevölkerung für die momentanen Ankündigungen. Es häufen sich Proteste an unterschiedlichen Orten des Landes. Dies entgegen der Behauptung, die Opposition sitze vor allem in den Kafffeehäusern von Tel Aviv.

Die politische Stabilität der Regierung ist geringer als ursprünglich gedacht. Die Resultate der Koalitionsverhandlungen und der Verteilung der Portfolios zeigen die Schwäche von Premier Benjamin Netanjahu, das Land nach vorne zu bringen. Zivilgesellschaftlich kommt es nun darauf an, wie schnell und wie gut sich Bürgerinnen und Bürger organisieren, um rote Linien aufzuzeigen.»

Tagesschau, 29.12.2022, 12:45 Uhr ; 

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