Die Herkunft der katholisch-republikanischen Michelle O'Neill und der protestantisch-probritischen Emma Little-Pengelly könnte unterschiedlicher nicht sein. Doch die Geräuschkulisse in ihrer Kindheit war dieselbe: Bomben, Schreie, Sirenen und Scherben.
Sie sei elf Jahre alt gewesen, als ihr Elternhaus von einer Autobombe der Irisch-Republikanischen Widerstands-Armee IRA zerstört worden sei, erzählte die 44-jährige Emma Pengelly in ihrer Antrittsrede im Parlament. Mehr als 3500 Menschen sind während dem Bürgerkrieg in Nordirland erschossen oder zerfetzt worden. Am Karfreitag 1998 folgte ein brüchiger Frieden. Seitdem müssen die stärksten Parteien aus beiden Lagern die Macht in Nordirland teilen.
Doch die Wunden seien bis heute nicht verheilt, sagte Michelle O'Neill, als vergangene Woche das nordirische Parlament erstmals nach zwei Jahren wieder tagte. «Die Menschen, die ihr Leben verloren haben, dürfen nie vergessen werden, egal auf welche Seite sie gestanden sind.»
O'Neill weiss, wovon sie spricht. Sie ist im Bürgerkrieg in einer republikanischen Familie aufgewachsen. Ihr Vater war Mitglied der IRA und im Gefängnis, als sie 1977 zur Welt kam. Ihr Cousin wurde von der britischen Armee erschossen. Angeblich war er mit zwei Kameraden auf dem Weg zu einem Anschlag. Michelle O'Neill war damals 14-jährig.
Dass dieses Mädchen einmal Firstministerin sein könnte, glaubte damals niemand. Besonders nicht die Lehrerschaft ihrer katholischen Schule. Diese prophezeite O'Neill, sie werde nichts erreichen, nachdem diese mit 16 Jahren Mutter wurde. O'Neill absolvierte jedoch eine kaufmännische Lehre und machte später in der republikanischen Sinn-Féin-Partei Karriere. Wurde Lokalpolitikern, später Ministerin und regiert heute einen Teil des Vereinigten Königreichs, aus dem sie austreten möchte.
«Wir kommen aus unterschiedlichen Welten»
Ganz anders tönte es in Markethill westlich von Belfast. Das kleine Dorf ist nur 30 Kilometer vom Geburtsort von Michelle O'Neill entfernt. Hier ist Emma Little-Pengelly in einer protestantischen Gemeinschaft aufgewachsen, in der alljährlich im Juli mit einem Umzug der Schlacht gedacht wird, in der 1690 die Protestanten die Katholiken bezwungen haben.
Emma war neun Jahre alt, als ihr Vater wegen Waffenschmuggels für die probritischen Paramilitärs im Gefängnis landete. Seine Tochter studierte Recht, folgte politisch jedoch den Fussstapfen ihres Vaters. Sie trat der Demokratischen Unionisten Partei (DUP) bei, wurde politische Beraterin und später Parlamentarierin. «Ich bin Unionistin und werde alles tun, damit meine Heimat britisch bleibt.» Dass sie jemals mit Michelle O'Neil zusammen das Land führen werde, hätte sie nie gedacht: «Michelle O'Neill und ich kommen aus ziemlich unterschiedlichen Welten. Aber trotz all unseren Differenzen, werde ich alles geben, damit wir gemeinsam das Beste für die Leute in Nordirland tun.»
Die Hoffnung, dass in Nordirland ein neuer politischer Frieden einkehrt, ruht heute auf den Töchtern von zwei Unruhestiftern; einem zwischenzeitlich verstorbenen republikanischen Widerstandskämpfer und einem protestantischen Waffenschmuggler. Es ist nicht der erste Neuanfang in Nordirland, doch der gute Wille der beiden Frauen ist hörbar. Die Vergangenheit könnten sie nicht ändern, meinte O'Neill, aber gemeinsam an einer besseren Zukunft bauen.