Nur gerade zwei der 18 bisherigen Minister hat Präsident Recep Tayyip Erdogan trotz seines Wahlsiegs in sein neues Kabinett aufgenommen. Zum einen seinen Gesundheitsminister und Leibarzt Fahrettin Koca sowie Tourismusminister Nuri Ersoy.
Beide sind im Gegensatz zu den anderen bisherigen Kabinettsmitgliedern nicht ins neue Parlament gewählt worden. Das ist insofern bedeutend, alsdass ein Doppelmandat nicht möglich ist und sie entsprechend als AKP-Abgeordnete im Parlament nicht nachbesetzt und damit fehlen würden, wie ARD-Korrespondentin Karin Senz in Istanbul erklärt.
Simsek soll es bringen
Wichtigster Neuzugang in der Regierung ist jedoch Mehmet Simsek. Der angesehene und westlich orientierte Ökonom war bereits von 2009 bis 2018 Finanz- und dann Wirtschaftsminister. Allein schon der Name Simsek soll vieles bewegen. Er gilt bei Finanzinvestoren als Garant für eine gute Wirtschaftspolitik und betonte schon immer die Unabhängigkeit der Zentralbank. Nun soll er für eine Wende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Türkei stehen und Vertrauen schaffen.
Die Herausforderungen sind riesig. Bereits am Wochenende nach der Vereidigung liess Simsek verlauten, dass er zu einer «rationalen Grundlage» der Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückkehren wolle. Der Kampf gegen die Inflation habe Priorität. Das tönt nach Kritik an der Vergangenheit. Denn unter Erdogan senkte die Zentralbank die Zinsen trotz extrem hoher Inflation weiter, statt sie anzuheben. «Zinsfeind» Erdogan wollte so mit billigem Geld die Wirtschaft anschieben.
Inflation – Wiederaufbau – Syrien-Flüchtlinge
Neben der Inflationsbekämpfung als oberste Priorität machte Simsek weitere Versprechen, die die Märkte sehr gerne hören und die von der internationalen Finanzpolitik bei der Türkei vermisst wurden: Rechenschaftspflicht, Transparenz und Haushaltsdisziplin. Die Inflation liegt offiziell bei 44 Prozent, laut einer unabhängigen Expertenkommission ist sie eher doppelt so hoch oder noch höher.
Dazu kommt der Wiederaufbau nach dem Erdbeben, der hundert Milliarden Euro kosten soll. Das grosse Thema im Wahlkampf waren aber die syrischen Flüchtlinge, die nach Syrien zurückgeschickt werden sollen. Weitere Wahlversprechen betrafen Mindestlöhne und Renten.
Was wird Simsek ausrichten können?
Jetzt gehe es darum, dass Simsek die vielen verschiedenen Punkte angehe, vor allem die Inflation, sagt ARD-Korrespondentin Senz. Denn der Spritpreis habe nach der Stichwahl Ende Mai gleich weiter angezogen und die Menschen verärgert. Schon nächstes Jahr stünden nämlich die ebenfalls bedeutenden Kommunalwahlen an.
Ob Simsek Lösungen bringen kann und der Lira wieder ihr natürlicher Lauf gelassen werde, hänge davon ab, wie viel Freiheiten ihm Erdogan gebe, schätzt Senz: «Simsek ist nämlich 2018 auch abgetreten, weil er sich offensichtlich nicht so frei bewegen konnte, wie er wollte.»