Während Jahrzehnten galt in Europa die Kriegsgefahr als vernachlässigbar. Heute wird sie wieder als bedeutend höher eingeschätzt. Entsprechend wird kräftig in die Verteidigung investiert. Das macht das Jahrbuch des Londoner Strategieinstituts IISS überaus deutlich.
Gewaltige Investitionslücken
Um satte 32 Prozent stiegen die Militärausgaben in den europäischen Nato-Staaten seit 2014. Und damit so stark wie schon viele Jahrzehnte nicht mehr. Dennoch könne man nicht von einer Hochrüstung sprechen, so die IISS-Experten. Denn zunächst gehe es darum, die Investitionslücken vergangener Jahre zu schliessen. Und die seien gewaltig.
Die Schwierigkeiten des Westens, die Rüstungsproduktion hochzufahren, sind dabei offenkundig. Das spürt die Ukraine gerade ganz akut. Die Nato ist in vielen Bereichen, vor allem bei der Munition, schlicht völlig ausserstande, ihr genügend zu helfen.
Russland ist da erfolgreicher: Es stellte rasch auf Kriegswirtschaft um, und zwar trotz der zumindest bisher offenkundig wenig griffigen westlichen Sanktionen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass für Moskau der Krieg gegen die Ukraine alleroberste Priorität geniesst.
Russland kann Verluste ausgleichen
Deshalb steck die russische Führung einen Drittel des Staatshaushalts in die Rüstung und die Armee, also satte 7.5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Bei westlichen Ländern beläuft sich dieser Wert auf zwei Prozent, bei vielen liegt er sogar erheblich tiefer.
Der Ukrainekrieg fügt Russland, aber ebenso der Ukraine enorme Verluste zu. Der Unterschied ist, dass Russland die Ressourcen hat, um sie auszugleichen. Die Ukraine hingegen ist punkto Rüstung weitgehend auf westliche Unterstützung angewiesen und hat nur ein sehr begrenztes Reservoir an Soldatinnen und Soldaten. Die Regierung in Kiew steht damit vor der äusserst schwierigen Entscheidung, wie viele, vor allem auch junge Leute sie noch mobilisieren kann und darf, ohne dass die Zukunft des Landes gefährdet ist und die Wirtschaft kollabiert.
Unerfreuliche Zeiten stehen bevor
Natürlich lässt sich Ressourcenknappheit ein Stück weit ausgleichen mit technologischem Vorsprung. Aber am Ende komme es, so die Fachleute beim IISS, halt doch auf die Masse, auf die schiere Zahl an. Und da ist Russland klar im Vorteil.
Ganz allgemein deuten die Zahlen und Daten des IISS auf überaus unerfreuliche, gefährliche Zeiten hin. Begonnen hat nun, für alle erkennbar, eine Phase der strategischen Instabilität und der Machtkämpfe. Und zwar praktisch weltweit.
Bei sehr vielen Akteuren ist die Bereitschaft sehr rasch und sehr stark gestiegen, nationale Ambitionen und territoriale Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. In Russland, im Iran, in Nordkorea, in Aserbaidschan, im Sahel und anderswo.