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Neuer und alter WHO-Chef Doktor Tedros darf wohl bleiben

Zu Pandemiebeginn war Tedros Ghebreyesus umstritten. Nun hat der WHO-Exekutivrat ihn für eine zweite Amtszeit empfohlen.

In UNO-Kreisen ist der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO einfach Doktor Tedros. Dabei ist er gar kein Arzt. Doch das Kürzel lässt sich leichter merken als der volle Name des 56-jährigen Äthiopiers: Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Zu Beginn der Corona-Pandemie war er eine umstrittene Figur. Eine Wiederwahl schien ungewiss. Seine Organisation erntete Kritik, zu spät und zu zögerlich gehandelt zu haben. Tedros Ghebreyesus widersprach: Die WHO habe früh und immer wieder gewarnt.

Dennoch erteilte auch ein unabhängiges Expertenpanel der WHO, geleitet von der früheren neuseeländischen Premierministerin Helen Clark, die jäh im grellen Rampenlicht stand, mässige Zensuren.

Sie sprach im australischen Sender ABC von Versäumnissen und Mängeln. Andere spielten direkt auf den Mann, beispielhaft für viele Angriffe jener der Chefredaktorin des indischen Fernsehsenders Wion News, Palki Sharma. Ghebreyesus und die WHO hätten die Pandemiekrise verharmlost, seien nicht auf sie vorbereitet gewesen, hiess es etwa.

Breitseiten schoss auch der damalige US-Präsident Donald Trump gegen Ghebreyesus ab, da dieser zunächst Chinas Effort gegen Corona in den höchsten Tönen gelobt hatte. Dank dem entschlossenen Handeln Pekings seien weltweit zahllose Opfer verhindert worden.

Auf Distanz zu Peking

Professorin Suerie Moon vom Zentrum für internationale Gesundheitspolitik am Genfer Graduate Institute hat indes Verständnis dafür, dass sich der WHO-Generaldirektor zunächst bei China anbiederte. Er war, sagt sie, zwingend auf Chinas Kooperation bei der Pandemiebekämpfung angewiesen.

Es ist unmöglich, es als WHO-Chef allen recht zu machen, erst recht nicht, wenn geopolitische Spannungen die Welt erschüttern
Autor: Suerie Moon Professorin am Genfer Graduate Institute

Später ging er auf Distanz zu Peking, forderte unabhängige Untersuchungen der Geschehnisse in Wuhan und wurde dafür vom chinesischen Regime als «arrogant» kritisiert. Es sei unmöglich, so Suerie Moon, es als WHO-Chef allen recht zu machen, erst recht nicht, wenn geopolitische Spannungen die Welt erschüttern.

Ghebreyesus bewies sich als fähig

Dazu kommt: Die WHO war bei Pandemiebeginn geschwächt, finanziell und personell. Ihr fehlte es an Kompetenzen und an Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen. Doch die Organisation rappelte sich auf, übernahm zügig eine Schlüsselrolle. Tedros Ghebreyesus erwies sich als geduldiger und zunehmend glaubwürdiger Kommunikator.

So erfolgreich, dass nun seine Wiederwahl für weitere fünf Jahre gesichert ist. Die Europäer, China und die USA sowie viele Drittweltländer stehen hinter ihm. Pikante Ausnahme: Seine Heimat Äthiopien. Dort sieht die Zentralregierung in der Hauptstadt Addis Abeba Ghebreyesus, der aus der aufständischen Provinz Tigre stammt, neuerdings als Feind.

Pläne für die Zukunft

Sollte nun allmählich das Post-Corona-Zeitalter beginnen, muss sich der WHO-Chef künftig prioritär der nachhaltigen Stärkung seiner Behörde widmen: Zu weit klaffen die enormen Erwartungen an sie und ihre bescheidenen Mittel auseinander.

Die WHO-Reform wird mindestens so schwierig wie die Pandemiebekämpfung, denn, so Professorin Suerie Moon, viele Staaten, gerade reiche und mächtige, seien weiterhin unwillig, Befugnisse an die UNO-Organisation abzutreten, sie finanziell solide aufzustellen und so zu stärken. 

Dieses Virus hat die Menschheit eines gelehrt: Demut.
Autor: Tedros Ghebreyesus WHO-Generaldirektor

Tedros Ghebreyesus ist sich dessen bewusst und sagt –bezogen auf die Corona-Bekämpfung und auf die WHO als Institution: «Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.» Nüchtern ergänzt er: Dieses Virus habe die Menschheit eines gelehrt: Demut.

Echo der Zeit, 01.02.2022, 18 Uhr

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