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Neues Gesetz in Ungarn Viktor Orbán erhöht den Druck auf Kritiker und kritische Medien

In Ungarn hat die neue Behörde «zum Schutz der ungarischen Souveränität» die Arbeit aufgenommen. Wozu dient sie?

Was macht das neue Amt für Souveränitätsschutz? Seine Hauptaufgabe ist es, zu verhindern, dass Gelder aus dem Ausland an ungarische Parteien oder – in den Augen der Regierung – unliebsame Organisationen fliessen. Was das bedeutet, beschreibt Máté Kocsis, Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, so: «Wir möchten denen das Leben schwer machen, die im Ausland unsere Heimat für Dollars verkaufen. Wir wollen den linken Journalisten, Pseudo-NGOs und Dollarpolitikern einheizen, die glauben, das Interesse amerikanischer Milliardäre oder Brüsseler multinationaler Firmen vertreten zu wollen.» Die direkte Finanzierung von Parteien aus dem Ausland war in Ungarn schon bisher verboten. Mit dem neuen Gesetz gilt das Verbot neu auch für Organisationen und Vereine, die politisch tätig sind. Wer dagegen verstösst, riskiert eine Strafe bis drei Jahre Gefängnis.

Nahaufnahme von Viktor Orban, Profil
Legende: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán erhöht den Druck auf Kritiker und kritische Medien. Archiv/REUTERS/Marton Monus

Was darf die neue Behörde? Sie hat umfassende Befugnisse, gegen jede Person oder Organisation zu ermitteln, die ihrer Ansicht nach im Verdacht steht, gegen das neue Souveränitätsgesetz zu verstossen. Die Behörde darf zwar nur Berichte schreiben. Sie darf keine Anklage erheben. Stossend ist aber: Das neue Gesetz gewährt kein rechtliches Gehör und keine Rechtsmittel. Das heisst: Die Behörde kann einen Bericht über einen Verdächtigten schreiben, muss diese Person oder die Organisation aber nicht anhören. Und: Ist ihr Bericht einmal verfasst, haben die Betroffenen keinerlei Einsprachemöglichkeit.

Amnesty International: «Gesetz ist unklar formuliert»

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Fachleute sagen, das Gesetz sei schwammig formuliert. So sagt etwa Dávid Víg, Direktor von Amnesty International, im Interview: «Ich bin Jurist. Aber das Gesetz ist so unklar formuliert, dass ich nicht erkennen kann, welche Aktivitäten laut diesem Gesetz überhaupt die nationale Unabhängigkeit bedrohen.»

Aus seiner Sicht sei das Gesetz absichtlich so vage formuliert, damit die neue Behörde bei Bedarf der Regierung gegen jede und jeden ermitteln und so Regierungskritiker und kritische Medien zum Schweigen bringen könne.

Kann die neue Behörde auch gegen kritische Journalisten vorgehen? Das ist unklar. Sogar innerhalb der Regierung wird das neue Gesetz unterschiedlich interpretiert. Der Fidesz-Fraktionschef Máté Kocsis und die Ex-Justizministerin sagen, das Gesetz gelte auch für Journalisten, Viktor Orbáns Kabinettschef dementiert das. Diese Unsicherheit sei Absicht, sagt der Parlamentarier Márton Tompos von der Oppositionspartei Momentum: «Für Journalisten ist dieses Gesetz ein Damoklesschwert. Denn in Ungarn bestimmt ja die Regierungspartei Fidesz, welche Medien Werbung bekommen und welche nicht. Also können kritische Medien oft nur dank finanzieller Unterstützung aus dem Ausland überleben.» Diese Medien kann die Regierung jetzt jederzeit ausschalten.

Warum wird es mit dem russischen «Gesetz über ausländische Agenten» verglichen? Das Gesetz ist so unklar formuliert, dass die Regierung damit fast jede unliebsame Person zum Schweigen bringen kann. Das erinnert viele an die Zustände in Russland. Man muss allerdings betonen, dass in Ungarn bisher keine Journalisten wegen ihrer Recherchen im Gefängnis sitzen.

Wie stehen die Menschen in Ungarn zum Gesetz? Den meisten Ungarn scheint dieses Gesetz nicht wichtig. Sie haben andere Sorgen, etwa die höchste Teuerung in der Europäischen Union. Gegen das neue Souveränitätsgesetz sind derzeit keine Proteste geplant. Das Gesetz wurde ja schon am 13. Dezember 2023 in aller Stille vom Parlament beschlossen, ohne öffentliche Debatte. Ob das Gesetz Bedeutung erlangt, hängt davon ab, wie es die neue Behörde auslegen wird.

Tagesschau, 04.02.2024, 19.30 Uhr

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