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Souveränitätsgesetz in Ungarn Empörung darf durchaus sein, aber vielleicht über andere Vorgänge

Ungarns Parlament hat am Dienstagabend das sogenannte «Souveränitätsgesetz» verabschiedet. Kandidierende und Organisationen, die sich um ein politisches Amt bewerben, dürfen nun kein Geld mehr annehmen aus dem Ausland. Sonst drohen ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis. Ein neues «Büro zum Schutz der Souveränität» darf, in Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst, alles und jeden untersuchen, das oder der Ungarns Souveränität schaden könnte.

Journalisten, die aus dem Ausland finanziert werden. Dollar-Politikerinnen. Gender-Ideologie. Migration. Das alles bedroht Ungarns Souveränität, wenn man Regierungschef Viktor Orban und seinen Parteikollegen glaubt. Zum «Schutz des Landes» deshalb jetzt das «Souveränitätsgesetz».

Schwammiges Gesetz

Zum Teil fragt man sich, was mit diesen Bedrohungen gemeint sein könnte. Zum Teil, ob es sie in Ungarn überhaupt gibt – in einem Land, das das Asylrecht de facto abgeschafft hat. Und gleichzeitig tausende Gastarbeiter reinholt, weil Arbeitskräfte fehlen. In einem Land, in dem die meisten Medien von Orban-Leuten kontrolliert werden, die meisten Staatsaufträge an Orban-Leute gehen. In einem Land, dessen Regierungschef sich in die Wahlkämpfe anderer Länder einmischt, damit dort genehme, rechtskonservative Politiker gewinnen.

Kritische Stimmen in Ungarn, die Europäische Union und die USA sagen nun, Medien und Nichtregierungsorganisationen drohten wegen des neuen Gesetzes Ermittlungen und Schliessungen. Doch das Gesetz ist genauso schwammig wie die Bedrohungen, vor denen es Ungarns Unabhängigkeit beschützen soll.

Die Strategie von Orban

Es ist bezeichnend, dass selbst Orbans Leute die Regeln unterschiedlich interpretieren: Die Ex-Justizministerin sagte, sie gälten auch für Journalisten. Orbans Kabinettschef dementierte dies. Schwammig auch die Befugnisse des «Büros zum Schutz der Souveränität»: Es darf nur Berichte schreiben, keine Anklage erheben. Und ins Gefängnis müsste höchstens eine Politikerin, der nachgewiesen werden kann, dass sie Geld aus dem Ausland erhalten hat. Sogar dann sind auch mildere Strafen möglich. 

Viktor Orban macht es immer ähnlich: Er lässt ein spektakulär klingendes Gesetz verabschieden – gerichtet zum Beispiel gegen Homosexuelle oder Hilfsorganisationen. Alle sind empört. Die EU leitet ein Verfahren ein gegen Ungarn. Orban ruft Wählerinnen und Wählern zu: «Sehr ihr, so sind die Imperialisten in Brüssel.»

Abbau der Demokratie

Derweil entpuppt sich das Gesetz als zu schwammig, um es anzuwenden. Als Rohrkrepierer. In seinem Windschatten aber macht Orban die Räume für Andersdenkende tatsächlich enger. Indem er die Auskunftspflicht der Verwaltung gegenüber Medienschaffenden beschränkt. Indem er ausländische Firmen vergrault. Indem er Schuldirektoren durch Parteileute ersetzt. Für Orbans Kritiker sind oft nicht Schlagworte wie «Souveränitätsgesetz» am empörendsten. Sondern der tatsächliche Abbau der Demokratie.

Sarah Nowotny

Osteuropa-Korrespondentin

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Sarah Nowotny ist Osteuropa-Korrespondentin für SRF. Sie lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Seit 2014 ist Nowotny bei Radio SRF tätig. Zuvor arbeitete sie für die «NZZ am Sonntag» und «Der Bund».

HeuteMorgen, 13.12.2023, 06:00 Uhr

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