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Ein düsteres Kapitel der spanischen Geschichte
Aus SRF 4 News aktuell vom 12.11.2019.
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«Niños robados» in Spanien Opfer von Kindesraub sind auf sich allein gestellt

Über Jahrzehnte wurden in ganz Spanien Babys direkt nach der Geburt gestohlen. Ein kriminelles Netzwerk von Ärzten, Priestern und Beamten entführte zehntausende Kinder. Diese sogenannten «niños robados» – die geraubten Kinder – wurden an kinderlose Paare verkauft. Bis heute kooperieren die spanischen Behörden bei der Aufdeckung kaum. Journalistin Julia Macher gibt auch dem Amnestiegesetz von 1977 die Schuld daran.

Julia Macher

Julia Macher

Freie Journalistin

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Die Journalistin lebt in Barcelona und berichtet von dort für verschiedene Radio- und TV-Sender, hauptsächlich über Gesellschaft und Kultur.

SRF News: Heute hätte der Prozess gegen einen Arzt, dem Kindesraub vorgeworfen wird, beginnen sollen. Wieso wurde er verschoben?

Julia Macher: Der Prozess wurde wegen angeblicher medizinischer Probleme des Angeklagten verschoben. Der 74-Jährige soll in mindestens einem Fall einer Frau ein Kind entwendet haben. Sein Anwalt sagt, er könne nicht am Prozess teilnehmen. Es ist schon das zweite Mal, dass er verschoben wird.

Man habe ihr gesagt, das Kind sei tot, man habe sich aber geweigert, ihr den Körper des Säuglings zu zeigen.

Es geht um eine Frau, die angibt, dass ihr das Kind 1975 nach der Geburt weggenommen wurde. Man habe ihr gesagt, das Kind sei tot, man habe sich aber geweigert, ihr den Körper des Säuglings zu zeigen und stattdessen eine Puppe ans Bett gebracht. Die Frau hat den Fall 2013 ins Rollen gebracht, nachdem Medien über ähnliche Fälle in der gleichen Klinik berichtet hatten.

Dass Babys direkt nach der Geburt gestohlen wurden, geht auf die Zeit der Franco-Diktatur von 1939 bis 1975 zurück. Wieso tat man dies?

In der Nachkriegszeit gab es ein staatliches Umerziehungsprogramm. Dieses ging auf die Thesen eines Psychiaters zurück, der sagte, republikanische Frauen hätten eine angeborene Neigung zur Perversion, die ausbreche, wenn sie sich demokratisch engagierten. Deshalb müsse man ihnen die Kinder wegnehmen. Sie wurden in kirchliche Obhut gegeben und vermittelt.

Bis in die 1950er-Jahre hatte es politisch-ideologische Gründe. Aber auch danach wurden Kinder den Müttern weggenommen. Weshalb?

Es ging vor allem darum, dass skrupellose Gynäkologen kinderlosen Familien Nachwuchs verschaffen wollten und dazu ein kriminelles Netzwerk aufbauten.

Eine Mutter liess den Kindersarg aus der Erde holen. Darin lagen keine Kinderknochen, sondern der Arm eines Erwachsenen.

Die Zahlen darüber, wie viele Fälle unter diese Art des Kindesraubs fallen, gehen weit auseinander. Es wäre aber falsch, das als «normales» Verbrechen zu betrachten. Denn auch in der Zeit nach der Franco-Diktatur war es ein grosses Problem, wenn man als Frau ein uneheliches Kind zur Welt brachte. Auf diese Mütter hat man damals erheblichen Druck ausgeübt.

Diese Art des Kindesraubs wurde bis 2001 praktiziert. Wie ist das möglich?

Man ging von Einzelfällen aus. Und vielen Kindern war nicht klar, dass sie adoptiert worden waren. Viele von ihnen wurden auch erst als Erwachsene durch Medienberichte misstrauisch. Als dann viele mit den Nachforschungen anfingen, kamen teils schaurige Details ans Licht. Etwa der Fall einer Mutter, die den Kindersarg aus der Erde hat holen lassen. Darin lagen keine Kinderknochen, sondern der Arm eines Erwachsenen.

Die UNO und die EU haben Spanien aufgefordert, dieses dunkle Kapitel der Geschichte aufzuarbeiten. Warum wird das nicht getan?

Das liegt am Amnestiegesetz von 1977. Damals hat man Täter der Franco-Diktatur ihrer juristischen Verantwortung für politische Verbrechen enthoben. Das war ein Versuch, den Übergang von der Diktatur zur Demokratie friedlich zu gestalten. Bei den Fällen der «Niños robados» hat man versucht, Kontinuitäten nachzuweisen und so das Gesetz auszuhebeln. Doch zwischen Francos Zwangsadoptionen und den illegalen Praktiken der Kliniken gibts Unterschiede. Tragisch ist, dass das für die Opfer keinen Unterschied macht.

Das Gespräch führte Romana Costa.

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