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Ökolabel für Atomkraft und Gas Ein Jubeltag für Frankreich und Deutschland

Auch Investitionen in Atomkraft und Gas sollen unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich gelten. Diesen Vorschlag der EU-Kommission für eine Klimaneutralität bis 2050 hat das EU-Parlament heute deutlich mit 328 gegen 287 Stimmen angenommen. Wer in grüne Energie investiert, unterstützt damit künftig auch Atom- und Gaskraftwerke, wie SRF-Korrespondent Michael Rauchenstein zum Taxonomie-Entscheid aus Strassburg sagt.

Michael Rauchenstein

SRF-Korrespondent TV in Brüssel

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Während seines Studiums der Politikwissenschaft an der FU Berlin arbeitete Michael Rauchenstein zweieinhalb Jahre als freier Redaktor für SRF in Berlin. Nach einem Jahr in der Auslandredaktion (und bei der Arena) in Zürich ist er seit März 2020 TV-Korrespondent in Brüssel.

SRF News: Wie umstritten war die Vorlage im EU-Parlament in Strassburg?

Michael Rauchenstein: Lange war nicht klar, ob eine Mehrheit gegen den Vorschlag zustande kommt, denn die Vorlage war im Parlament umstritten. Die linken Fraktionen sowie die grüne Fraktion sprachen sich klar gegen den Taxonomie-Vorschlag aus. Die liberale Fraktion, die von den Abgeordneten der Partei Macrons geprägt wird, war grösstenteils dafür. Der französische Präsident gilt als einer der wichtigsten Lobbyisten der Taxonomie. Denn er braucht Geld für die maroden Atomkraftwerke in Frankreich.

Bei der konservativen EVP als grösste Fraktion war das Abstimmungsverhalten nicht so klar. Gewichtige Finanzpolitiker wie Markus Ferber von der CSU sprachen sich gegen den Vorschlag aus. Er argumentierte, dass grüne Investoren nicht in Atom- oder Gaskraftwerke investieren würden. Er konnte damit aber das Parlament nicht überzeugen.

Was ist Taxonomie?

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Die Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das in er Europäischen Union die ökologischen Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten bewerten will. Damit soll zum einen das Vertrauen bei Investorinnen und Investoren gestärkt werden. Zum anderen sollen grüne Investionen transparenter und attraktiver gemacht und die Anlegerschaft vor irreführendem Greenwashing durch Unternehmen geschützt werden.

Wie stark wurde die Debatte vom Krieg in der Ukraine beeinflusst?

Das war kaum ein Thema. Einige Parlamentsmitglieder vor allem der grünen Fraktion wiesen darauf hin, dass mit der Taxonomie weiterhin Gas aus Russland unterstützt beziehungsweise finanziert werde. Diese Kritik kam auch von der Ukraine. Gleichzeitig gab es aber auch aus der Ukraine Stimmen zugunsten der Taxonomie, weil das Land überschüssigen Atomstrom nach Europa exportieren möchte. Ausschlaggebend war der Krieg in der Ukraine aber nicht für den Entscheid.

Umweltverbände kritisierten den Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission stark, weil Milliarden nun nicht in Wind- und Solarenergie flössen . Was wird die neue Regelung jetzt verändern?

Ab dem kommenden Jahr werden Investitionen in Atom- oder Gaskraftwerke unter gewissen Bedingungen als nachhaltig bezeichnet. Dieser grüne Stempel kann für das Image von Investoren wichtig sein. Gerade Staaten wie Frankreich, Polen oder auch Deutschland erhoffen sich mit dem grünen Label, dass in Atomanlagen oder Gaskraftwerke im Falle Deutschlands investiert wird.

Atomkraftwerk.
Legende: Das Atomkraftwerk in der südwestfranzösischen Gemeinde Golfech am Ufer der Garonnne zwischen Toulouse und Agen. Keystone

In erster Linie werden aber die privaten Investoren entscheiden, zu wem das Geld fliessen soll. Der Markt wird als entscheiden, wie wichtig die Taxonomie tatsächlich ist. Sie ist ein freiwilliges Instrument, dass die Investoren bei Entscheiden unterstützen soll. Es scheint aber auch für viele klar zu sein, dass Erdgas und Atomenergie noch als Übergangstechnologien verwendet werden sollen, um dann irgendwann ganz auf erneuerbare Energien setzen zu können.

Noch ist das letzte Wort aber nicht gesprochen?

Dass die EU-Mitgliedstaaten den Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission ablehnen, gilt als höchst unwahrscheinlich. Wenn bis zur kommenden Woche kein Veto der Mitgliedstaaten zusammenkommt, hat der Vorschlag den parlamentarischen Prozess überstanden. Allerdings haben Österreich und Luxemburg bereits mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht. Möglicherweise gibt es auch aus dem Parlament noch eine Klage.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 06.07.2022, 18:00 Uhr ; 

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