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Öl-Embargo gegen Russland Kompromisse sind für die Einheit der EU-Mitgliedstaaten nötig

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben es in den Wochen seit Kriegsbeginn in der Ukraine geschafft, in Rekordzeit mehrere Sanktionen gegenüber Russland zu verhängen. Auch wenn es unter den Mitgliedstaaten teilweise intensive Diskussionen über einige Sanktionen gab, wie beispielsweise über das Kohle-Embargo, zeigten sie sich bis jetzt geeint gegenüber Moskau.

Einheit ist von zentraler Bedeutung

Dieses gemeinsame Auftreten der 27 Mitgliedstaaten ist von zentraler Bedeutung, wenn es um die Reaktion der EU auf den Ukraine-Krieg geht. Zumal der russische Präsident Wladimir Putin versucht, die Mitgliedstaaten zu spalten – zuletzt mit dem Lieferstopp von russischem Gas nach Polen und Bulgarien.

Natürlich gibt es nach wie vor grosse Differenzen innerhalb der EU. Die baltischen Staaten und auch Polen forderten bereits vor Beginn des Krieges harte Sanktionen gegenüber Moskau. Polen hätte lieber heute als morgen einen sofortigen europäischen Importstopp von Öl und Gas aus Russland. Dass dies nicht realistisch ist, weiss die Regierung in Warschau.

Viele Mitgliedstaaten haben sich über Jahre hinweg abhängig von russischen Energieträgern gemacht. Ein sofortiger Importstopp, die wirkungsvollste Massnahme gegenüber Putin, hätte wohl zu starke Folgen für die Wirtschaft und die Bevölkerung der betroffenen Mitgliedsländer.

Die meisten dieser Staaten sind sich der unbequemen Situation bewusst, dass sie mit ihrer Veto-Position härtere Sanktionen blockieren, zumal der Druck aus der Ukraine mit jedem weiteren Tag des Krieges steigt.

Deutschland, als eines jener Länder, das seit Beginn des Krieges auf der Bremse steht, wenn es um Energie-Sanktionen geht, zeigt sich gewillt, möglichst rasch Alternativen zu den Energieträgern aus Russland zu finden. Weil es das Wirtschaftsministerium Robert Habecks innerhalb weniger Wochen geschafft hat, die Abhängigkeit von russischem Öl deutlich zu senken, kann nun auch Deutschland einem Öl-Embargo zustimmen, das längere Übergangsfristen vorsieht.

Ungarn nutzt seine Veto-Position

Anders sieht es bei Mitgliedstaaten wie Ungarn oder der Slowakei aus. Einige Länder sind nach wie vor stark abhängig von Rohöl und Ölprodukten aus Russland, als dass sie einen Importstopp russischen Öls verkraften könnten. Ungarn machte bereits vor der Bekanntgabe eines möglichen Öl-Embargos klar, dass die Regierung ein solches nicht unterstützen werde.

Das hat wirtschaftliche Gründe, aber nicht nur. Seit der deutlich gewonnen Parlamentswahl zeigt Ministerpräsident Viktor Orban ein neues Selbstbewusstsein gegenüber Brüssel. Dass die EU-Kommission in der vergangenen Woche den Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn aktiviert hat, passt Orban nicht. Mit seiner Veto-Position bezüglich eines Öl-Embargos kann er seine Machtposition gegenüber Brüssel einsetzen.

Um nach wie vor eine gemeinsame EU-Position gegenüber Russland zu haben, ist es daher richtig, dass die EU-Kommission in ihrem Vorschlag spezielle Ausnahmen sowie längere Übergangsfristen vorsieht. Denn die Mitgliedstaaten müssen ein solches Öl-Embargo auch ihren jeweiligen Bürgerinnen und Bürgern erklären können. Sie sind es, welche die Folgen, wie einen möglichen Anstieg des Ölpreises oder der Inflation, in ihrem Portemonnaie spüren werden. Die Gefahr, dass die Bürgerinnen und Bürger die Konsequenzen nicht mehr mittragen werden, steigt mit jedem weiteren Sanktionspaket.

Michael Rauchenstein

SRF-Korrespondent TV in Brüssel

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Während seines Studiums der Politikwissenschaft an der FU Berlin arbeitete Michael Rauchenstein zweieinhalb Jahre als freier Redaktor für SRF in Berlin. Nach einem Jahr in der Auslandredaktion (und bei der Arena) in Zürich ist er seit März 2020 TV-Korrespondent in Brüssel.

Tagesschau, 04.05.2022, 12:45 Uhr

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